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In dieser Ausgabe unseres Faktenchecks beantworten wir allgemeine Fragen zu Tierversuchen – und ganz besonders zur Grundlagenforschung.

Klickt auf eine der folgenden Aussagen, um mehr zu erfahren! Falls Ihr sie wieder zusammenklappen wollt, einfach nochmal darauf klicken.

"Erkenntnisse aus Tierexperimenten lassen sich nicht auf Menschen übertragen."

Diese Aussage ist falsch. Wie relevant die Forschung an Tieren für den Menschen in Wirklichkeit ist, beweist ein Blick in die Medizingeschichte. Viele der bedeutendsten medizinischen Fortschritte der letzten 100 Jahre und mehr sind direkt auf Tierexperimente zurückzuführen. Beispiele sind Antibiotika, Insulin für Diabetiker, Bluttransfusionen, bis hin zu grundlegendem Wissen, etwa dass Bakterien krank machen können oder die Entdeckung verschiedener Viren. So folgerte auch die Europäische Kommission, die sich 2015 ausführlich mit dem Thema befasste:
„Diese Fortschritte wären ohne die mittels Tierversuchen gewonnenen Ergebnisse nicht möglich gewesen.“
Alle Wirbeltiere (Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische) sind sich sehr ähnlich, da sie von gemeinsamen Vorfahren abstammen und somit ihr Aufbau den gleichen Prinzipien folgt. Wir alle haben dieselben Organe (Herz, Lunge, Leber, usw), die sehr ähnlich funktionieren und über Blutkreislauf und Nervensystem gesteuert werden. Diese Ähnlichkeit geht so weit, dass man sogar verschiedene tierische Hormone zur Behandlung von kranken Menschen benutzen kann, bei denen sie die gleiche Wirkung haben (z.B. Insulin von Schweinen und Kühen, Calcitonin vom Lachs, Oxytocin und Vasopressin von Schweinen). Selbst Tiere, die nur entfernt mit uns verwandt sind, zeigen viele Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel nutzen menschliche Zellen genau so wie die von Insekten den Hedgehog-Signalweg zur Kommunikation während der Entwicklung. Die Entschlüsselung dieses Mechanismus in Fruchtfliegen hat unter anderem zur Entwicklung einer neuen Klasse von Krebsmedikamenten geführt. Durch die Grundlagenforschung wissen wir, welche Systeme in welchen Tieren eine hohe Ähnlichkeit mit dem Menschen haben. Für Erkenntnisse aus der Forschung an diesen Systemen ist die Übertragbarkeit sehr hoch.
Selbstverständlich gibt es auch Unterschiede zwischen den Arten. In manchen Fällen können diese sogar von besonderem Interesse sein, denn Übertragbarkeit ist nicht Voraussetzung für Relevanz. Wenn wir z.B. besser verstünden, warum der Nacktmull resistent gegen Krebs ist, oder wie das Axolotl es schafft, ein abgetrenntes Bein oder andere Gewebe einfach nachwachsen zu lassen, könnte das zu völlig neuen Therapien für den Menschen führen.

"Tiere müssen in der Wissenschaft nicht verwendet werden, da es Alternativen gibt."

Die meisten Wissenschaftler wären hocherfreut, wenn diese Aussage so pauschal zutreffen würde. Denn Tierversuche sind äußerst aufwändig, teuer und langwierig. Daher wären zuverlässige Alternativen äußerst willkommen (vgl. Fakencheck: „Tierversuche sind billig und eine einfache Möglichkeit, Profit zu erzielen“). Für die Tierversuche, die heute in Deutschland durchgeführt werden, gibt es aber keine tierfreien Alternativen. Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass auf tierfreie Alternativen zurückgegriffen werden muss, wann immer das möglich ist. (Tierschutzgesetz §7a (2) 2).
Zudem sind Methoden wie Zellkulturen, Computermodelle und bildgebende Verfahren für Wissenschaftler nicht nur als Alternativen zu Tierversuchen, sondern auch als komplementäre Ansätze interessant, die weitergehende Daten liefern, als die Tierversuche alleine es können. Dementsprechend werden solche Methoden routinemäßig eingesetzt. Sie werden zudem ständig weiterentwickelt und ersetzen mehr und mehr Tierversuche. Zum Verständnis vieler biologischer und medizinischer Sachverhalte brauchen wir aber auch solche Erkenntnisse, die nach wie vor nur mit Hilfe von Tierversuchen erreicht werden können. Siehe hierzu: Alternativen zu Tierversuchen.

"Tierversuche sind billig und eine einfache Möglichkeit, Profit zu erzielen."

Wenn Wissenschaftler darauf bedacht wären, Gewinn zu machen anstatt neues Wissen zu etablieren, wären Tierversuche sicherlich die letzte Methode, die sie dafür wählen würden. Tierversuche sind nicht nur moralisch belastender, sondern auch langwieriger, aufwändiger und empfindlich teurer als andere Methoden. Zusätzlicher Aufwand entsteht durch die strikten gesetzlichen Regelungen von Tierversuchen zu wissenschaftlichen Zwecken und den damit verbundenen Antrags- und Begutachtungsverfahren. Die hohen Kosten lassen sich auf die vielen Mitarbeiter zurückzuführen, die rund um die Uhr für das Wohl der Tiere sorgen, sowie auf deren Nahrung, Unterbringung und medizinische Versorgung.

"Manche Kosmetikprodukte werden an Tieren getestet."

Seit dem 11. März 2013 gilt ein europaweites Verbot zum Verkauf von Kosmetikartikeln, welche an Tieren getestet wurden (Verordnung (EG) Nr. 1223/2009, Artikel 18, deutsches Tierschutzgesetz, §7a, Abs. 4). Die Tests selbst sind natürlich ebenfalls verboten.

"Manche Tierversuche sind gar nicht medizinisch, sondern dienen nur der Neugier der Wissenschaftler."

Diese Aussage bezieht sich meist auf Grundlagenforschung.
Jede angewandte Forschung und Entwicklung, sei es in Medizin oder Technik, basiert auf Grundlagenwissen. Je besser wir eine Krankheit verstehen, desto ausgefeilter können unsere Behandlungen sein. Ohne Wissen über ein gesundes Organsystem können wir keine Krankheit verstehen. Ohne Kenntnis der Physiologie eines Tieres können wir nicht verstehen, welche Faktoren das Überleben seiner Art bedrohen könnten.
Zu der Zeit, zu der Grundlagenforschung betrieben wird, können wir oft nur vage oder gar nicht voraussagen, wofür die Ergebnisse eines Tages nützlich sein werden. Wir sehen aber an unserer Vergangenheit, dass wir Bedrohungen der Gesundheit oder der Umwelt umso besser begegnen können, je breiter und detaillierter unser Grundlagenwissen ist. Zum Beispiel beruht jede Hygienemaßname, sei es regelmäßiges Händewaschen oder die gründliche Sterilisation des OPs vor einer Operation, auf der Keimtheorie – Grundlagenforschung von Louis Pasteur. Die Entschlüsselung der Struktur der DNA – Grundlagenforschung von James Watson, Francis Crick und Rosalind Franklin – war die Voraussetzung unter anderem dafür, dass wir heute das lebensrettende Insulin nicht mehr aus Schweinen isolieren müssen, oder Somatropin aus Leichen, sondern beides in Zellkultur von Bakterien oder Hefe herstellen lassen.
Die Wichtigkeit der Grundlagenforschung wird auch vom Deutschen Gesetzgeber erkannt, der Tierversuche zu diesem Zweck ausdrücklich erlaubt (Tieschutzgesetz, §7a, Abs. 1 S. 1 Nr. 1). Siehe hierzu auch Häufige Fragen: Grundlagenforschung.

"Die Tierversuchsindustrie verhindert die Einführung tierfreier Methoden, weil sonst Forschungslabore schließen müssten und Pharmaunternehmen Verluste machen."

Tierversuche sind sehr teuer (siehe den Faktencheck hierzu). Pharmaunternehmen sind alleine schon aus diesem Grund sehr daran interessiert, tierfreie Methoden zu benutzen wann immer möglich. Methoden wie Mikrodosierung werden benutzt, um ungeeignete Substanzen auszusortieren, bevor Toxizitätstests überhaupt gemacht werden müssen. Das spart Tierversuche und damit viel Geld. Computermodelle werden benutzt, um die Toxizität und andere Eigenschaften von neuen Substanzen so gut wie möglich vorherzusagen, damit nur die vielversprechendsten in Tierversuchen getestet werden müssen. Enorme Ressourcen werden von Pharmaindustrie und öffentlicher Hand investiert (1, 2, 3), um weitere tierfreie – und damit billigere – Methoden zur Toxizitätsvorhersage zu entwickeln, z.B. Organchips. Solange die Aussagekraft von Tierversuchen für Toxizitätstests höher ist, müssen Pharmaunternehmen weiter auf Tiere zurückgreifen. Methoden, die Tierversuche reduzieren können, ohne die Aussagekraft der Tests zu verringern, werden nicht nur aus ethischen, sondern auch aus finanziellen Gründen von Pharmaunternehmen mit offenen Armen angenommen.
Die Vorstellung, dass Wissenschaftler an Hochschulen oder anderen öffentlichen Instituten die Einführung einer neuen, besseren Methode boykottieren könnten, selbst wenn sie wollten, hat nichts mit der Forschungswirklichkeit zu tun. Heutzutage muss ein Wissenschaftler in der biomedizinischen Forschung ständig die neuesten Methoden im Blick haben, und sich gut überlegen, welche zur Beantwortung einer Frage am geeignetsten ist. Wenn z.B. durch verbesserte bildgebende Verfahren Hirnaktivität mit zellulärer Auflösung nicht-invasiv direkt im Menschen statt wie heute invasiv in Tieren untersucht werden könnte, würden Wissenschaftler auf der ganzen Welt diese Methode sofort einführen. Sollte sich ein Wissenschaftler einer solchen neuen Methode verweigern, würde er sofort von der Konkurrenz abgehängt. Die Einführung neuer Methoden führt nicht dazu, dass Labors pleitegehen, sondern dass sie effizienter forschen. Fortschrittliche Methoden verbreiten sich in Windeseile und ergänzen oder ersetzen auf der ganzen Welt „überholte“ Methoden, oft schon nach wenigen Jahren. Anschaulich illustriert wird das durch die rasante Einführung der modernen Methoden Optogenetics und crispr/cas9 gene editing.
Abbildung: Neue Methoden werden in Windeseile aufgenommen. Die Abbildungen zeigen die Zahl der weltweit veröffentlichten Forschungsarbeiten, in denen die Methoden Optogenetics (A) oder crispr/cas9 (B) seit deren Einführung benutzt wurden. Erstellt mit medline-trend, Suchbegriffe „Optogenetics“ bzw. „crispr-cas9“.