Es wird oft behauptet, dass Tierversuche sofort abgeschafft und durch alternative Methoden ersetzt werden könnten. Als alternative Methoden werden gerne Computersimulationen, Mikrodosierung, Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) und In-vitro-Tests angeführt.
Momentan sind diese Methoden jedoch nicht in der Lage Tierversuche komplett zu ersetzen. Sie werden aber routinemäßig eingesetzt, um Tierversuche zu ergänzen und die Anzahl benötigter Tiere zu verringern. Computersimulationen sind vor allem nützlich bei der Entwicklung neuer Medikamente. Die Grundlage dieser Simulationen sind jedoch immer Daten, die ursprünglich in Tierversuchen gewonnen wurden. Bevor wir die einzelnen Methoden genauer beleuchten, sollten wir uns noch die folgenden zwei Punkte vor Augen führen:
- Tierversuche sind sehr teuer. Versuchstiere müssen in entsprechend ausgestatteten Gebäuden gehalten werden, sie müssen gefüttert und von qualifiziertem Personal sowie Tierärzten betreut werden. Im Vergleich dazu sind tierversuchsfreie Methoden deutlich günstiger und weniger zeitaufwendig. Wissenschaftler, deren Forschungsetat begrenzt ist, und pharmazeutische Unternehmen, die profitorientiert arbeiten, setzten daher wann immer möglich in ureigenstem Interesse tierversuchsfreie Methoden ein. Die Tatsache, dass weiterhin Tierversuche durchgeführt werden, zeugt davon, dass die tierversuchsfreien Methoden zum jetzigen Zeitpunkt keinen vollständigen Ersatz bieten.
- Laut Tierschutzgesetz müssen Alternativmethoden eingesetzt werden, wann immer dies möglich ist (Tierschutzgesetz §7a Abs. 2 Nr. 2). Außerdem darf ein Versuchsvorhaben nur dann genehmigt werden, wenn „wissenschaftlich begründet dargelegt ist, dass […] das angestrebte Ergebnis trotz Ausschöpfens der zugänglichen Informationsmöglichkeiten nicht hinreichend bekannt ist…“ (Tierschutzgesetz §8 Abs. 1 Nr. 1b). Die zuständigen Landesbehörden prüfen für jeden Tierversuchsantrag, ob diese Bedingungen gegeben sind. Ein Tierversuch wird also überhaupt nur genehmigt, wenn keine tierfreien Alternativen existieren.
An dieser Stelle sollte zudem darauf hingewiesen werden, dass Tierversuche zur Herstellung von Kosmetika und Waschmittel in Deutschland verboten sind (Tierschutzgesetz §7a Abs. 4).
Computersimulationen
„Computer können erstaunliche Dinge tun. Aber selbst die leistungsfähigsten Computer können Tierversuche in der medizinischen Forschung nicht ersetzen.“
Professor Stephen Hawking (Seriously Ill for Medical Research, 1996)
Computersimulationen spielen eine wichtige Rolle in der Forschung – ein vollständiger Ersatz für Tierversuche sind sie jedoch nicht. Für die Simulation eines physiologischen Prozesses im Computer muss dieser zunächst verstanden sein; diese Erkenntnisse kommen aus Versuchen an Tieren. Die Grundlage von Computersimulationen sind daher Tierversuche. Computer sind zudem in ihrer Rechenleistung begrenzt. Im Jahr 2007 war der damals schnellste Supercomputer nötig um eine Sekunde der Gehirnaktivität in einem halben Mäusegehirn zu simulieren. Dabei wurden jedoch Nervenverbindungen und andere Gehirnstrukturen, die sich in einem realen Mäusegehirn finden nicht berücksichtigt [Link]. Computersimulationen anderer Organe als des Gehirns haben bereits einen größeren Nutzen. Sie müssen sich jedoch auf die Hauptmerkmale eines Organs konzentrieren und können feinere Prozesse nicht berücksichtigen. So kann zum Beispiel ein Computer die Muskelbewegungen des Herzens simulieren, aber nicht die Reaktionen, die währenddessen in den einzelnen Herzzellen stattfinden. Professor Dennis Noble und sein Team programmierten an der Oxford Universität in England ein virtuelles Herz. In Bezug auf die Konsequenzen für Tierversuche sagte er: „Da hunderte von Millionen von Differenzialgleichungen gleichzeitig gelöst werden müssen, kann es bis zu 30 Stunden dauern, um nur ein paar Schläge des Herzens zu simulieren. […] Ich würde sagen, dass es der eigentliche Vorteil dieser Simulation ist, Stoffe frühzeitig herauszufiltern und so sehr frühe Stadien von Tierversuchen zu ersetzen.“
Mikrodosierung
Unter Mikrodosierung versteht man die Verabreichung sehr geringer Dosen einer experimentellen Substanz an Menschen. Die Dosen sind hierbei so niedrig, dass eine Giftigkeit weitgehend ausgeschlossen werden kann. Deshalb ist es vertretbar, Mikrodosierung durchzuführen, ohne vorher eine vollständige Toxizitätsstudie in Tieren gemacht zu haben. Bei der Mikrodosierung verfolgt man, wie eine Substanz sich im menschlichen Körper verteilt (Pharmakokinetik). So kann man ungeeignete Substanzen frühzeitig ausschließen. Dadurch werden Tierversuche verringert, denn für eine bereits ausgeschlossene Substanz muss kein Toxizitätstest mehr in Tieren gemacht werden. Mikrodosierung kann Toxizitätstests aber nicht ersetzen, da sie zwar Hinweise auf die Pharmakokinetik, aber nicht auf die Giftigkeit der vollen Dosis liefert. Substanzen, die in der Mikrodosierung, auch klinische Phase 0 genannt, erfolgversprechend sind, müssen weiterhin im Tierversuch auf Toxizität geprüft werden, bevor sie in die klinischen Phase 1 (Test auf Nebenwirkungen an wenigen gesunden Menschen) und gegebenenfalls Phase 2 und 3 kommen. Mikrodosierung wird heute schon von Pharmakonzernen in der Arzneitmittelforschung eingesetzt. Da es sich um eine junge Methode handelt, müssen noch Erfahrungen gesammelt werden für welche Fragen Mikrodosierung geeignet und für welche weniger geeignet ist. Es ist aber zu erwarten, dass diese Methode in Zukunft noch einen deutlich größeren Anteil an Tierversuchen in der Medikamentenentwicklung einsparen wird.
In-vitro-Tests
In-vitro-Tests beinhalten Verfahren in Reagenzgläsern, Zellkulturen, Petrischalen oder Multi-Well-Platten, sowie eine große Anzahl an Zell- und Gewebetechniken, aber auch zellfreie Methoden. Dr. Phil Stephens ist einer der Pioniere von In-vitro-Tests zur Behandlung von Geschwüren, die auf genetischen Manipulationen beruhen. Er sagte folgendes: „Es gibt eine Vielzahl von Tiermodellen, aber diese sind nicht besonders gut für diese Art von Wunden. Daher haben wir begonnen In-vitro-Systeme zu entwickeln.“ Dies ist ein großartiges Beispiel für den Ersatz (replacement) von Tierversuchen. Wissenschaftler wollen immer das bestmögliche Modellsystem für ihre Arbeit, um präzisere Ergebnisse zu erhalten. Wenn eine alternative Methode besser funktioniert als ein Tierversuch, prima! In diesem Fall liefert der In-vitro-Test nicht nur bessere Ergebnisse, sondern ist auch deutlich günstiger.
Dennoch gibt Dr. Stephens zu bedenken: „Das In-vitro-System wird die Tiermodelle nicht ersetzen, aber es wird eine große Anzahl von initialen Experimenten ermöglichen, die hoffentlich die Anzahl der Tierexperimente stark verringern wird.“ Warum In-vitro-Tests Tierversuche nicht vollständig ersetzen können liegt auf der Hand: Ein neues Medikament kann in einer Zellkultur oder einem Reagenzglas funktionieren, aber wie es sich im Körper verhält, lässt sich daraus nicht ableiten. Ein Reagenzglas hat kein Blutsystem, keine Leber, kein Gehirn und auch kein Nervensystem. Ein Reagenzglas kann keinen Schmerz fühlen oder schwanger werden. Es gibt daher keine Möglichkeit aus einem In-vitro-Test vorherzusagen, ob ein Medikament funktioniert. Hierfür muss es schlussendlich in einem Lebewesen getestet werden. Und da gibt es nur die Wahl zwischen Tieren und Menschen. Dasselbe gilt für Grundlagenforschung, die versucht die Funktionsweise von Organen wie z.B. dem Gehirn zu verstehen: Ein Reagenzglas sieht und hört nichts, hat kein Gedächtnis und trifft auch keine eigenen Entscheidungen. Um zu verstehen, wie diese Prozesse im Gehirn umgesetzt werden, muss man im Gehirn eines lebenden Wesens messen.
Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT)
Professor Chris Higgins verwendet MRT, um die Anzahl von Tierexperimenten zu verringern. Er sagt: „Ein Bereich, den wir uns anschauen, kontrolliert den Appetit und das Sättigungsgefühl. Um dies zu tun musste man traditionell das Gehirn eines Tieres sezieren. Um dies zu verhindern, verwenden wir In-vivo-Bildgebung, um uns die Hirnbereiche anzuschauen, die mit Appetit und Sättigung zusammenhängen.“ Technologische Fortschritte erlauben mittlerweile, dass Wissenschaftler das Gehirn „scannen“ können, um zu sehen welche Bereiche unter bestimmten Bedingungen aktiv sind. Daraus können Rückschlüsse gezogen werden, welche Bereiche im Gehirn verschiedene Aspekte unseres Körpers, unserer Gedanken und vieles mehr steuern. Jedoch sagt Professor Higgins auch: „Die Schwierigkeit liegt darin, zu sagen was die genetischen und molekularen Grundlagen von Fettleibigkeit sind, und hierfür benötigen wir Tiere, hauptsächlich Mäuse, sollten wir effizientere Therapien entwickeln wollen.“ Auch hier wird wieder klar, dass diese alternative Methode eine wichtige Rolle spielt, um die Anzahl der Tierversuche zu reduzieren (reduce), aber nicht in der Lage ist Tierversuche vollständig zu ersetzen. MRT kann hilfreich sein bei der Lokalisation von Hirnstrukturen, welche an bestimmten Prozessen beteiligt sind, es kann jedoch keine Aussage über genetische, molekulare oder zelluläre Mechanismen machen. Hierfür sind Tierversuche nötig.
Der Text basiert auf dem englischen Original von Speaking of Research und wurde überarbeitet und weiter ausgebaut.