Was hindert uns daran, öffentlich mehr über Tierversuche zu sprechen?

Vor anderthab Wochen fand die jährliche GV-SOLAS-Tagung statt und wir waren dabei – virtuell natürlich. Im Rahmen der Session „Public Relations“ hielt ich, Emma, einen Vortrag unter dem Titel „Einsame Kämpfer? – Wie wir in den sozialen Medien über Tierversuche sprechen“. Meine Kernbotschaft(-en) zu den Debatten in Facebook-Kommentarspalten: Ruhig bleiben. Faktenwissen aufbauen und Fehlinformationen richtigstellen. Dem Gegenüber zuhören und die Argumente ernst nehmen. Vertrauen und Nähe schaffen. Eine Diskussion auf Augenhöhe führen. Denn eines ist für mich klar: Wir müssen (mehr) reden!

Das Feedback zu diesem (vorab aufgezeichneten) Vortrag war überwältigend. Vielen Dank für die vielen lobenden und ermutigenden Worte und für die Ehrlichkeit, mit der mir von persönlichen Erfahrungen und Ängsten berichtet wurde.

An den Vortrag schloss sich eine lebendige Diskussion zwischen den anderen Vortragenden der Session – Ana Barros (EARA), Julia Peusquens (UK Aachen), Fabienne Ferrara (ConScienceTrain) sowie Max Rieckmann (Pro-Test) und Roman Stilling (Tierversuche verstehen) – und den über 100 TeilnehmerInnen der Session an. Die Diskussion drehte sich u.a. um die folgenden Fragen:

 

Wie gehe ich mit persönlichen Angriffen um? Wie kann ich mich davor schützen?

Die Frage treibt wohl nicht nur den Einzelnen um, sondern auch die Institute und Unis. Groß ist die Sorge vor Diffamierung und einem „Shitstorm“. Die Diskussionen in den FB-Kommentarspalten haben den Vorteil, dass man sich mit der Antwort etwas Zeit lassen kann – zum Überlegen und Durchatmen. Denn oft wird man dort sehr persönlich angegriffen. Mir hilft da nur: Einatmen, ausatmen, eine Antwort tippen, diese Antwort noch vor dem Abschicken wieder löschen, einen Tee/Kaffee trinken und eine gemäßigtere, sachlichere Antwort geben. Außerdem hilft es, mir ins Gedächtnis zu rufen, wie es m.E. zu solchen Beleidigungen und so viel Hass kommen kann: durch das falsche Bild, das viele wohl vom „Tierversuchsforscher“ haben. Diesem Forscher im weißen Kittel ein Gesicht geben und ihn damit nahbar machen – auch das ist ein Anliegen von Pro-Test. Das bedeutet keineswegs, dass man Tierversuche auf Gedeih und Verderb verteidigen muss. Zur Nahbarkeit kann es auch gehören, von eigenen Zweifeln zu berichten, wenn es um die ethische Vertretbarkeit von Tierversuchen geht. Auch damit macht man sich angreifbar, aber eben auch menschlich. Und gerade Menschlichkeit wird dem „Tierversuchsforscher“ ja nur allzu leicht abgesprochen. Worin sich die DiskussionsteilnehmerInnen einig waren: Schweigen ist keine Option. Nicht in den sozialen Medien und auch sonst nicht. Schweigen vermittelt den Eindruck, dass heimlich Verbotenes vor sich geht und Fehlinformationen und Vorwürfe bleiben unwidersprochen. Das wollen wir nicht akzeptieren.

Dennoch scheuen sich viele in Tierversuchen Arbeitende in den öffentlichen Raum zu treten. Die Verunsicherung und Angst vor Diffamierung überwiegen leider noch zu häufig. Deshalb müssen wir uns gegenseitig unterstützen und zeigen, dass bei proaktiver Kommunikation vor dem Krisenfall fast immer ein respektvoller Umgang gewahrt wurde.

 

Wessen Aufgabe ist es, über Tierversuche zu sprechen?

„Unabhängig von den Instituten sollten wir alle das Thema Tierversuche auch als Teil unserer persönlichen Verantwortung begreifen. Jeder von uns kann die Diskussion privat und beruflich anregen und damit für eine differenziertere öffentliche Wahrnehmung sorgen“, schrieb eine Diskussionsteilnehmerin. Das stimmt in meinen Augen. Es ist aber nicht nur Aufgabe des Einzelnen im Sinne einer grass-root-Initiative, sondern auch Aufgabe der Institute, Unis und Forschungseinrichtungen, die Tierversuche durchführen, denn sie stehen am schnellsten im öffentlichen Fokus. Deshalb müssen Institutionen einerseits von emanzipierten Wissenschaftlern aufgefordert werden, Kommunikationsstrategien zu entwerfen und Leitfäden vorzuleben. Umgekehrt müssen Wissenschaftler von den Institutionen unterstützt werden, indem Fortbildungen insbesondere im Bereich (Medien-)Kommunikation und psychologische Beratung angeboten werden. Besonders hervorzuheben sind hier auch die VersuchstierpflegerInnen, deren Arbeit unerlässlich für den Wissenschaftsbetrieb ist und die in den Stakeholderkreis aufgenommen werden müssen.

 

Welche Tools brauchen wir, um den Einzelnen zu mehr Kommunikation über Tierversuche zu ermutigen? Wie können Anreize geschaffen werden?

Fabienne Ferrara sprach überzeugt davon, dass wir ein Belohnungssystem brauchen, und erntete dafür Zustimmung. Aktuell gibt es wenig Anreize für diejenigen, die Tierversuche durchführen, sich auch dazu zu äußern. Es ist bisher eine Aufgabe, der man sich in der Freizeit widmen müsste – wie wir hier bei Pro-Test Deutschland. Arbeitszeit dafür zu nutzen oder es sogar als Aufgabe im Rahmen der Arbeit zu betrachten scheint bisher eine Ausnahme zu sein. Wir wünschen uns dort einen Wandel hin zu einer neuen Definition des Arbeitsgebiets eines/r Wissenschaftler/in, zu dessen Aufgaben eben auch die Wissenschaftskommunikation gehört.

 

In welcher Position kommuniziere ich? An wen kann ich mich wenden?

Durch den Arbeitgeber zu mehr Transparenz bei Tierversuchen ermutigt – das ist absolut wünschenswert. Aber als wer kommuniziere ich dann? Vor diesem Problem stehe auch ich immer wieder: Ich versuche in jeder Diskussion klar zu machen, als wer ich gerade spreche. Ich als Biologin. Ich als Pro-Testlerin. Ich als Privatperson. Ich als Angestellte eines Forschungsinstituts. Wenn ich im Namen des Forschungsinstituts spreche, stellt sich die Frage: Was darf ich überhaupt sagen? Um Sicherheit für den Einzelnen zu schaffen, wünschen wir uns klare Richtlinien und Statements durch die Forschungsinstitute, Unis etc. Daran kann man sich als Einzelner dann „festhalten“.

MitarbeiterInnen, die kommunizieren wollen, scheint es darüber hinaus an (Informationen über die) Anlaufstellen an den Instituten zu mangeln, an die man sich bei Problemen mit der Kommunikation von Tierversuchen wenden kann.

 

Was hindert die Universitäten, den schon seit Jahren identifizierten Missstand der fehlenden Kommunikation des Einsatzes von Versuchstieren in der Forschung zu beheben?

Zum einen mag das die Angst vor Protesten und Angriffen sein. Roman Stilling gab hierbei aber zu bedenken, dass mehr Transparenz bei Tierversuchen tatsächlich nicht ursächlich mit Anfeindungen in Verbindung steht. Zum anderen sind insbesondere an Universitäten die Finanz- und Personalressourcen begrenzt. Ein Diskussionsteilnehmer warf ein: „In einer Einrichtung, die bisher nicht über TV gesprochen hat, nun Kommunikationsstrategien zu etablieren, erfordert viele Kapazitäten. Das kann man nicht „nebenbei“ machen und ich kann mir vorstellen, dass es in vielen Einrichtungen u.a. auch daran scheitert.“ Darüber hinaus erscheint es schwierig, dass große Institute und Universitäten mit EINER Stimme sprechen, gerade bei so einem schwierigen Thema wie Tierversuche. Ein Statement, dass Tierversuche durchgeführt werden und man sich dabei zur Einhaltung der 3R und Transparenz verpflichtet, kann aber wohl jede Organisation verfassen – und sollte es auch.

 

Wurde in der Corona-Krise die Chance verpasst, Tierversuche in der Forschung präsenter zu machen? Wie können wir die Sichtbarkeit von Tierversuchen in der Öffentlichkeit erhöhen?

„Ich denke, eine große Chance wurde im März und April versäumt. Nie zuvor, war die Medienpräsenz der Wissenschaft so hoch und auch das Vertrauen in die Wissenschaftler. Die meisten der Medienwirksam aufgetretenen Wissenschaftler arbeiten auch mit Versuchstieren. Es hätte meiner Meinung nach eine gute Möglichkeit gegeben, auf die Unerlässlichkeit von Tierversuchen bei diesen Interviews und Diskussionsrunden auch für die COVID Forschung hinzuweisen. Ich habe das leider nicht wahrgenommen“, schrieb einer der Diskussionsteilnehmer und sprach damit wohl vielen aus der Seele. Was können wir daraus lernen? Wir brauchen mehr und breitere Wissenschaftskommunikation. Viele Laien sind interessiert an wissenschaftlichen Themen. Doch für sie muss das „Fachchinesisch“, wie es eine Teilnehmerin nannte, in verständliche Sprache übersetzt werden. Das Problem ist nicht nur, dass Primärliteratur inhaltlich für den Laien kaum zu verstehen ist, sondern auch, dass die Wissenschaftssprache zumeist Englisch ist und viele Publikationen hinter Paywalls der Fachzeitschriften versteckt bleiben. Daher braucht es die WissenschaftlerInnen, die von ihrer Forschung berichten – und dabei Tierversuche nicht verschweigen. Ebenso forderte eine Teilnehmerin, dass mehr über sogenannte Negativ- oder Null-Ergebnisse gesprochen werden müsse. Auch sie gehören zum Forschungsalltag und sind ein wichtiger Bestandteil des Erkenntnisgewinns. Daher sollten auch sie kommuniziert werden. Gerade in Krisen und bei Skandalen gerät man schnell in die Lage, sich für Tierversuche rechtfertigen zu müssen. Wer schon früh offen kommuniziert, hat dagegen die Chance, die Debatte um Tierversuche zu lenken. Es gibt verschiedenste Wege das zu tun: die klassischen Medien, die sozialen Netzwerke, populärwissenschaftliche Veranstaltungen, die Einbindung von Patientenkreisen als Multiplikatoren der eigenen Information. Eine gepflegte Institutswebseite, deren Wichtigkeit Julia Peusquens betonte: „Gerade um die Informationen vor einer eintretenden Krise sachlich zu geben ist eine gute Webseite sinnvoll und bietet eine sichere Grundlage auch für Mitarbeiter bei Nachfragen zu Tierversuchen an der jeweligen Universität.“ Viel diskutiert wurden auch Aktionen wie ein Tag der offenen Tür an Universitäten und Tierhäusern oder die Integration des Themas Tierversuche in den Schullehrplan. Insbesondere beim Thema Schule, aber auch allgemein für die Debatte um Tierversuche, war es mir aber wichtig zu betonen: Ich will niemanden davon überzeugen, dass Tierversuche gut sind, aber ich halte einige für notwendig und ethisch vertretbar. Über diese kann und möchte ich reden. Es ist okay, Tierversuche abzulehnen, wenn man diese Entscheidung auf der Grundlage von Fakten und sorgfältiger ethischer Abwägung trifft. Was nicht sein darf: Keine Meinung zu diesem schwierigen, aber wichtigen Thema zu haben, weil es an Information oder Konfrontation fehlt. Daher werde ich auch weiter über Tierversuche sprechen.

Vielen Dank noch einmal an alle Beteiligten für die rege Diskussion!