Querschnittsgelähmter kann wieder gehen – mit Exoskelett und elektrischer Stimulation

Auf einer Konferenz über Medizintechnik in Mailand präsentierte ein amerikanisches Forscherteam letzte Woche  einen spektakulären Erfolg. Mark Pollock, seit 2010 durch einen Unfall querschnittsgelähmt, ist der erste Patient, der eine Kombination aus Exoskelett und elektrischer Stimulation des Rückenmarks testet.

Das Exoskelett – eine Art bionischer Anzug der Firma Ekso Bionics – unterstützt Gelähmte beim Gehen. Es merkt, wie weit der Patient sich selbstständig bewegen kann und steuert den Rest bei. Pollocks Lähmung hingegen ist so stark, dass er bislang keine eigene Bewegung beitragen konnte und das Gerät eher wie ein Fahrzeug benutzte. Das sollte sich jedoch ändern, als er im Frühling 2014 eine experimentelle Therapie im Labor von Reggie Edgerton an der University of California in Los Angeles (UCLA) begann. In fünf Sitzungen innerhalb einer Woche wurde sein Rückenmark stimuliert. Dazu wurden Elektroden auf seinem Rücken angebracht, die durch die Haut die betreffenden Nervenzellen mit Strom anregten – ganz ohne Operation oder Verletzung. Wenn diese Stimulation mit dem mechanischen Anzug kombiniert wurde, fühlte Pollock sich, als hätte er auf einmal die „Sportversion des Geräts“ zur Verfügung, wie er in der Los Angeles Times zitiert wird. Die Forscher konnten messen, dass seine Beine in der Tat eigene Muskelkraft zur Bewegung beitrugen. Pollock, der bis zu seiner Querschnittslähmung leidenschaftlicher Sportler war, beschrieb die ungewohnte Anstrengung als „einen sehr aufregenden, emotionalen Moment“.

Bereits im Sommer dieses Jahres hatte die Arbeitsgruppe um Dr. Edgerton berichtet, dass die gleiche elektrische Stimulation fünf Querschnittsgelähmten ermöglicht hatte, erstmalig ihre Beine zu bewegen. Das Prinzip dieser experimentellen Behandlung ist, dass untätige aber noch intakte Nervenschaltkreise im Rückenmark wieder zu Tätigkeit angeregt werden. Aus der Grundlagenforschung wissen wir, dass ein großer Teil der Gehbewegung innerhalb des Rückenmarks verarbeitet und gesteuert wird. Selbst wenn durch die Querschnittslähmung die direkte Ansteuerung durch das Gehirn unterbrochen ist, so kann, wie es jetzt scheint, ein überraschend großer Teil dieser Funktion wieder zurückerlangt werden. Die elektrische Stimulation scheint dabei wie ein Fremdstarter zu wirken.

Den Durchbruch zu dieser Methode lieferten Erkenntnisse aus Forschung mit Ratten. Ebenfalls beteiligt an diesen Tierversuchen war Dr. Grégoire Courtine, der hier in einem deutschsprachigen Video diese Forschung erklärt. Dr. Edgerton stellt jedoch in einem Blog klar, dass auch der Durchbruch mit Ratten undenkbar gewesen wäre, wenn nicht das nötige Grundlagenwissen in „hunderten anderer Experimente … von vielen anderen Wissenschaftlern“ bereitgestellt worden wäre. Er schreibt: „All die vorhergehenden Tierversuche, die für unser Verständnis von Bewegungskontrolle relevant sind und viele unterschiedliche Tierarten einschließen, mindestens vom Fisch bis zum Menschen, haben zur Entwicklung der Konzepte beigetragen, die unserer aktuellen Veröffentlichung zugrunde liegen“.

Wir freuen uns für Mark Pollock, gratulieren dem internationalen Forscherteam und hoffen, dass diese Methode in Zukunft das Leben vieler Menschen mit Behinderung verbessern wird.