Keine einfachen Antworten

Heute morgen beim Frühstück: Ich hab mein Müsli schon auf, mein Sohn (fünf Jahre) kommt etwas verpennt an den Tisch, in der Hand einen Flyer mit so Affen drauf. „Papa, was hat der Affe hier für grünes Zeug am Kopf?

Trauriger Panda

Oh Mann, dass dieses… ganz besondere Druckerzeugnis bei uns rumfliegt, hatte ich schon vergessen: Am Samstag war in Tübingen mal wieder „Groß“-Demo der Tierrechtsbewegung, gegen die Primatenversuche „am Max Planck“. Ich war mit der Familie in der Stadt und hab mir auch einen Flyer geben lassen, der die „Lügen“ der Forscher anprangert und mit den bekannten Bildern von Rhesusaffen mit Ableitungskammern auf dem Schädel um Aufmerksamkeit wirbt. Der Flyer lag nun noch da, und mein Sohn hat ihn gefunden. Tolles Thema für den Frühstückstisch! Aber gut, man ist ja so verantwortungsvoll Papa, wie man kann, und wenn ich meinem Sohn auseinandersetzen kann, wo die kleinen Kinder herkommen, kann ich ihm auch das mit den Tierversuchen erklären.

„Das ist Zement, …, den braucht man, um diese runde Kammer hier oben am Kopf zu befestigen.“
„Warum macht man das, Papa?“
„Man macht den Affen ein Loch in den Schädelknochen, und durch diese Kammer hier kann man dann ganz, ganz dünne Drähte in das Gehirn führen. Durch die Drähte kann man messen, wie in einem bestimmten Teil des Gehirns Strom fließt. So kann man dem Gehirn praktisch beim Arbeiten zusehen und lernt ganz viel darüber, wie es funktioniert.“
Mein Sohn, mit einer Mischung aus Neugier und Verstörung: „Aber die armen Affen!“
„Denen tut das nicht weh, … .“
„Doch, Papa, das tut denen bestimmt weh! Ich will auch keinen Draht in mein Gehirn kriegen. Warum macht man denn sowas?“
„Weil man so ganz viel rausfinden kann, wie das Gehirn funktioniert und so. Und dann kann man Leuten helfen, die komplizierte Krankheiten am Gehirn haben.“
„Aber die armen Affen“, wiederholt er, „das darf man nicht machen! Nur weil man so neugierig ist!“
„Aber …, man will halt den kranken Menschen helfen. An die muss man ja auch denken.“
„Ich finde, man muss jetzt damit aufhören. Menschen wissen doch schon ganz viel! Reicht das nicht allmählich mal? Kann man nicht den kranken Leuten damit schon helfen?“
(Hammer, wie er genau die Argumente bringt, die auch von der Tierrechtsbewegung kommen. Ich bin schmerzhaft stolz auf ihn)
„Nein, leider nicht. Es gibt viele Krankheiten, die wir nicht heilen können, weil wir sie noch nicht verstehen. Gerade über das Gehirn wissen wir leider nicht so viel.“
„Aber das muss man doch nicht an den Tieren machen! Geht das nicht anders?“
„Naja, schließlich machen Menschen mit Tieren die ganze Zeit alles Mögliche, und alle finden das OK. Viele Leute haben Haustiere und fragen die Tiere auch nicht, ob sie mit Shampoo baden oder im Käfig sitzen wollen. Und wir essen viel mehr Tiere, als in Tierversuchen benutzt werden. Du magst ja auch Wurst, oder? Da finde ich Tierversuche viel wichtiger. Und die gehen tatsächlich nicht anders.“

Mein Sohn denkt darüber nach – und fängt an zu weinen. Er mag tatsächlich Wurst. Und kranke Leute tun ihm auch leid. Kognitive Dissonanz, Schuldgefühl, alles furchtbar kompliziert, und noch kein Frühstück im Bauch. „Aber das ist doch gemein, die armen Tiere…“. Mein Herz zerspringt ein bisschen.

Denn er hat ja recht. Die Tiere sind arm dran. Arm dran, weil eine dominante Spezies den Planeten mit ihnen teilt. Weil diese Spezies sich Gesetze gibt, die nur für sie gelten, und Ethiken entwickelt hat, die sie darin bestärken, Menschenleben über Tierleben zu stellen, manchmal gar menschliche Neugier, Ernährung, Vergnügen über tierisches Leiden. Tiere sind arm dran, weil die dominante Spezies Mensch allein durch ihre bloße Existenz, in ihrer heutigen Anzahl von über sechs Milliarden, gar nicht mehr anders kann, als den anderen Lebewesen auf der Erde alles abzuverlangen, bis hin zur Vernichtung ihrer Existenz. Wenn man mich eines Tages in die Erde legt, wird mein verwesender Körper angereicherte Schadstoffe und Schwermetalle freisetzen, die das Erdreich vergiften – selbst im Tod töten wir noch.

Das ist traurig, tieftodtraurig, und wenn mein Sohn seine bitteren Tränen darüber vergießt, kann ich ihn nicht damit trösten, dass in Wirklichkeit alles gar nicht so schlimm ist und alles gleich wieder gut wird. Aber anders als ein Fünfjähriger weiß ich auch, dass diesseits des Paradieses Lamm und Löwe nicht friedlich beieinander liegen: Leben ist immer Leben auf Kosten anderen Lebens. Die Gesetze von Ökologie und Evolution binden auch und immer noch uns Menschen. Sterben und Leiden will keiner, also leben wir, so gut wir können, und nehmen in Kauf, dass es auf Kosten Anderer geschieht.

Doch was wir tun können, und tun müssen: Die Verantwortung übernehmen. Offen sagen, was wir tun, warum wir es tun, warum so und nicht anders. Und immer und allzeit abwägen: Ist das gerechtfertigt? Kann ich diesen Versuch ohne Tiere durchführen? Mit weniger Tieren? Mit weniger leidensfähigeren Tieren, oder wenigstens mit geringerer Belastung? Steht der Nutzen für die Wissenschaft und für die Menschheit überhaupt noch in einem gesunden Verhältnis zu dem Leid, das ich verursache?

Solange wir nicht aufhören, die schweren Fragen zu stellen – solange wir uns nicht mit den einfachen Antworten zufrieden geben – solange wir redlich und offen die Verantwortung für unser Tun übernehmen – solange kann ich meinem Sohn in die Augen sehen, während ich ihm die Tränen abwische.

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