Nachtrag zum Artikel „Wenn Sie die Wahl hätten: Frikadelle oder Krebsmedikament“
Bei Pro-Test Deutschland bemühen wir uns, niemanden direkt anzugreifen. Wir wollen nicht eskalieren, Fronten verhärten, mit Fingern zeigen. Wir wollen das Gegenteil. Wir wollen unseren Beitrag leisten, verlässliche Informationen verfügbar zu machen, und mit allen anderen Mitgliedern unserer Gesellschaft auf Augenhöhe darüber sprechen, wie moralische Wissenschaft aussehen sollte. Daher habe ich im Artikel „Wenn Sie die Wahl hätten: Frikadelle oder Krebsmedikament“ keine Organisation beim Namen genannt. Mein Ziel war es lediglich, Euch für Widersprüche in bestimmten ethischen Positionen zu sensibilisieren.
Im Artikel geht es darum, dass einige Tierrechtsorganisationen den Tod von Tieren legitim finden, um eine vegane Boulette zu züchten, aber nicht, um Krebsmedikamente zu entwickeln. Eine Absurdität, die jedem aufzeigen sollte, dass die zugrundeliegende Argumentation erhebliche Schwachstellen hat.
Jetzt ist aber bei einigen der Eindruck entstanden, ich würde einen Strohmann aufstellen. Ich wurde gefragt, ob es wirklich Organisationen gibt, die gleichzeitig den Einsatz von fötalem Kälberserum (FKS) für die Entwicklung von in vitro Fleisch tolerieren, ihn aber in der Krebsforschung verurteilen. Habe ich etwa nur „die Tierrechtsbewegung“ in einen Topf geworfen? Positionen von gemäßigten und radikalen Organisationen gegenübergestellt, um einen scheinbaren Widerspruch zu erzeugen?
Leider nicht. Ich habe Euch hier stellvertretend zwei Organisationen herausgesucht, die tatsächlich genauso argumentieren.
Peta ist der größte Tierrechtsverein der Welt, mit 3 Millionen Mitgliedern und einem Jahresbudget von 45 Millionen Dollar. Als 2013 die erste in vitro Frikadelle der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, feierte Peta das als großen Erfolg. Das Team um Professor Mark Post hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass für diese Frikadelle FKS eingesetzt worden war (also Tiere gestorben sind), und auch heute für die Weiterentwicklung eingesetzt wird. Peta selbst beschrieben es sogar in einem überschwänglichen Artikel.
Peta Deutschland e.V. schloss sich dem Freudentaumel der amerikanischen Schwesterorganisation an.
Wie Peta zum Einsatz von Tieren für die Forschung steht, ist hinlänglich bekannt. Egal, wie groß der medizinische Nutzen ist, Tierversuche sind in ihren Augen „aus ethischen Gründen inakzeptabel“.
Peta ist das prominenteste Beispiel aber keineswegs das einzige. Der Tierrechtsverein Ariwa ist ähnlich begeistert von in vitro Fleisch und fordert z.B. höhere Investitionen in die laufende Forschung. Kein Wort davon, diese Forschung auf Eis zu legen, bis irgendwann ein tierfreier Ersatz für FKS verfügbar ist. Im Gegenteil: „nahezu praxisreif“.

Quelle: http://www.ariwa.org/wissen-a-z/hintergrund/tierrechte/345-kunstfleisch-fleischgenuss-ohne-reue.html
Ganz anders liegt der Fall, wenn Tiere für medizinische Forschung getötet werden. Das ist laut Ariwa „moralisch absolut inakzeptabel“
Wir müssen uns gründlich überlegen, welcher Nutzen es rechtfertigt, Tiere zu töten. Das ist eine zentrale Frage unserer Gesellschaft, die nicht nur die Wissenschaft betrifft, sondern viele andere Bereiche, wie Nahrungsmittelindustrie, Landwirtschaft und Schädlingsbekämpfung in Wohnungen und Städten. Diese Frage müssen wir als Gesellschaft beantworten. Dafür ist es nötig, dass uns verlässliche Informationen zur Verfügung stehen. Wie hoch ist der Nutzen wirklich, wie viele Tiere sterben wirklich, wie sehr müssen sie leiden? Wir alle sind gefordert darüber nachzudenken was gerechtfertigt ist, was geboten ist, was nicht sein darf. Wir alle entscheiden das. Diese Antworten sind komplex, und wir müssen sie ständig überprüfen.
Nicht wenige Menschen kommen zum Schluss, dass Tiere töten immer falsch ist. ‚Tiere dürfen nie getötet werden, Punkt‘. Diese Position wird von den meisten Tierrechtsorganisationen vertreten. Diese Haltung ist natürlich praktisch nicht umsetzbar, weil wir schon Tiere töten wenn wir ein Feld bestellen (z.B. Wühlmäuse) oder uns waschen (z.B. Hautmilben). Wir kommen nicht darum herum zu entscheiden, welches Töten von Tieren noch moralisch ist und welches nicht mehr. Ein klares Zeichen, dass ich nicht gründlich genug nachgedacht habe ist, wenn ich dabei zu absurden Prioritäten komme. Wenn ich damit einverstanden bin, ein Tier zu töten weil es gut schmeckt, aber das gleiche Tier verschonen will, wenn es einem Menschen das Leben retten könnte.
Wie gesagt geht es hier nicht darum, einzelne Organisationen an den Pranger zu stellen. Wir wollen vielmehr darauf aufmerksam machen, dass die Ethik von Tierversuchen nicht so schwarz/weiß ist, wie manchmal vermittelt wird. Es handelt sich um ethische Abwägungen, die alles andere als einfach sind. Wenn Ihr konstruktiv an der Debatte teilnehmen wollt – und da solltet Ihr! – müsst Ihr Euch den schwierigen Fragen stellen. Übernehmt nicht unhinterfragt die Position von irgendwelchen Leuten, die behaupten sie würden sich auskennen. Selbst ethische Positionen von weltumspannenden Organisationen sind manchmal erstaunlich wenig durchdacht.
Alle Links wurden am 10.2.2016 abgerufen.