Die Zukunft der Organtransplantation – Xenotransplantation und Tissue Engineering

In zwei parallelen Ansätzen arbeiten Wissenschaftler dafür, das Problem der knappen Spenderorgane ein für alle Mal zu lösen. Welcher von beiden wird das Rennen machen?

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Die erste erfolgreiche Herztransplantation, durchgeführt 1967. Bildquelle: Wikipedia

Nach mehr als hundert Jahren Forschung wurden Organtransplantationen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts medizinische Wirklichkeit. Fortschritte in diesem Medizinbereich führten dazu, dass heute Patienten z.B. mit unheilbarem Herz- oder Nierenleiden ein gesundes Ersatzorgan von einem Spender erhalten können. Das größte Problem dabei ist, dass mehr Patienten neue Organe benötigen, als zur Verfügung stehen. Derzeit warten allein in Deutschland rund 11.000 Menschen auf ein Spenderorgan. Viele davon sterben an ihrer Krankheit, bevor sie eins erhalten können. Weltweit Zehntausende pro Jahr.

Es gibt zwei große Ansätze in der Forschung, die Organknappheit in den Griff zu bekommen. Einer ist, Organe im Labor nachzuzüchten, das sogenannte Tissue Engineering. Der zweite ist, Organe von Tieren zu verwenden, die sogenannte Xenotransplantation. Mit atemberaubenden Fortschritten liefern sich beide Forschungszweige ein Kopf-an-Kopf Rennen.

Tissue Engineering – Organe aus der Petrischale

Diese Forschungsrichtung nutzt die modernen Möglichkeiten der Stammzellgenetik, um Organe im Labor nachzubilden.

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Forscher mit Petrischale. Bildquelle: Wikimedia Commons

Der größte Vorteil von nachgebildeten Organen ist, dass man dafür Zellen des Patienten selber nehmen könnte. Bei der herkömmlichen Organtransplantation von Mensch zu Mensch gibt es immer das Problem der Immunabstoßung. Das Immunsystem erkennt das implantierte Organ als fremd und greift es an. Das ist einer der Gründe, warum oft lange nach einem passenden Spender gesucht werden muss. Denn nur wenn die Immunsysteme von Spender und Empfänger zusammenpassen, ist die Abstoßung gering. Zusätzlich muss der Empfänger aber lebenslang starke Medikamente nehmen, die die Immunantwort unterdrücken. Würde das Spenderorgan aus körpereigenen Zellen gezüchtet, würde dieses Problem wegfallen und der Patient könnte theoretisch sogar auf die immunhemmenden Medikamente verzichten.

Ein vollständiges Organ aus einer einzelnen Zelle zu züchten ist heute noch unmöglich. Wir können heute aus einer Hautzelle eine Nierenzelle machen. Aber bis wir eine vollständige Niere züchten können, benötigen wir noch viel Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Entwicklungsbiologie. Jetzt haben Wissenschaftler auf dem Weg zum Ziel eine geniale Abkürzung gefunden. Organe wie die Niere bestehen aus lebenden Zellen, die auf einem Gerüst sitzen. Wenn man das Gerüst eines Organs woanders herbekäme, könnte man es mit lebenden Zellen vom Empfänger besiedeln. Solche Gerüste könnte man von Spendern gewinnen, die eigentlich unpassend wären – z.B. wegen eines unpassenden Immunsystems oder zu hohen Alters. Man könnte vielleicht sogar ein Gerüst mithilfe von 3D-Druck herstellen.

Dieser Ansatz wurde mit relativ einfachen Organen bereits erfolgreich verwirklicht. Die gebürtige Kolumbianerin Claudia Castillo hatte durch Tuberkulose so starke Schäden an der Luftröhre erlitten, dass sie kaum noch atmen konnte. Die Prognose für die junge Frau war düster. 2008 wurde ihr eine neue Luftröhre implantiert. Diese war einem verstorbenen Spender entnommen, von lebenden Zellen befreit und mit Stammzellen der Empfängerin neu besiedelt worden. Castillo ist die erste Patientin mit einer derartigen Behandlung. Bis heute lebt die Mutter von zwei Kindern mit dem Organ und zeigt keinerlei Abstoßungsreaktionen.  Edit (19.12.2017): Diese Operation ist Teil eines Skandals um Paolo Macchiarini, der später als Forschungsbetrüger entlarvt wurde. Einer der Vorwürfe ist, dass er Menschen operiert haben soll, bevor er die Anwendbarkeit seiner Methode in Tierversuchen überhaupt getestet hatte. Sechs seiner Veröffentlichungen wurden von einer Expertengruppe Ende 2017 wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens für ungültig erklärt und daraufhin zurückgezogen. Unter anderem hatte er Transplantationen als erfolgreich veröffentlicht, selbst wenn sie fehlgeschlagen waren.

Auch für komplexere Organe gibt es vielversprechende Fortschritte. Im Gegensatz zur einfachen Luftröhre kann man das komplexe Gerüst einer Niere nicht mit neuen Zellen besiedeln, indem man es einfach in ein Bad mit Stammzellen taucht. 2013 gelang es Wissenschaftlern in Boston, die Gerüste von Rattennieren mit verschiedenen Zelltypen zu besiedeln, die sie in einem speziellen Brutapparat gezielt durch Blutgefäße und Harntrakt spülten. Verpflanzung in Ratten zeigte, dass diese Nieren prinzipiell funktionierten.

Ein Problem mit dieser Methode ist jedoch, dass Zellen, die die Blutgefäße auskleiden, dem Blutdruck oft nicht standhalten. Sie lösen sich ab und verstopften die Gefäße. Dieses Problem lösten 2014 Wissenschaftler aus Winston-Salem. Sie besiedelten Gerüste von Schweinenieren auf ganz ähnliche Weise wie die Forscher aus Boston. Jedoch überzogen sie die Innenseite der Blutgefäße zusätzlich mit speziellen Antikörpern, die die Epithelzellen stärker an die Gefäße binden konnten. Auf diese Weise besiedelte Nieren hielten dem Blutdruck stand, nachdem sie für mehrere Stunden in Schweine verpflanzt wurden. Als nächstes wollen die Wissenschaftler testen, ob solche Nieren auch langfristig funktionstüchtig bleiben.

2014 züchteten Wissenschaftler in Stockholm Speiseröhren für Ratten. Eine Speiseröhre ist wesentlich komplizierter als eine Luftröhre. Unter anderem enthält sie Muskelzellen, mit denen sie die Schluckbewegungen ausführt. Auch in diesem Experiment wurden Spenderorgane von lebenden Zellen befreit und mit Stammzellen der Empfänger neu besiedelt. Ratten, die eine solche Speiseröhre implantiert bekamen, konnten normal essen und trinken. Edit (19.12.2017): Dies ist eine  Veröffentlichung des Forschungsbetrügers Paolo Macchiarini, die im März 2017 zurückgezogen wurde.

2015 gelang es derselben Arbeitsgruppe, künstliche Zwerchfelle für Ratten herzustellen. Etwa 1 von 2500 Babys kommt mit einer starken Schädigung des Zwerchfells zur Welt. Solche Schäden lassen sich nur schwer behandeln und verlaufen oft tödlich. Künstliches Zwerchfellgewebe, wie das welches jetzt mithilfe von Ratten entwickelt wurde, kann zu deutlich besseren Behandlungen führen.

Ebenfalls 2015 züchteten Wissenschaftler in Wisconsin Stimmbänder aus menschlichen Zellen. Die Funktionalität konnten sie demonstrieren, indem sie welche auf einen Hundekehlkopf setzten und Luft durchbliesen. Es entstand der gleiche Ton wie bei echten Stimmbändern.

All diese Fortschritte zeigen das enorme Potential des Tissue Engineering, die Verfügbarkeit von transplantierbaren Organen in naher Zukunft deutlich zu verbessern. Aber diese Lorbeeren könnte auch eine andere Methode einheimsen.

Xenotransplantation – Organe aus dem Stall

Wie das Tissue Engineering ist auch die Xenotransplantation für einfache Gewebe bereits medizinische Wirklichkeit. Die Verpflanzung von Herzklappen aus Gewebe von Schweinen und Rindern ist heute Alltag. Alleine in Deutschland wird sie jährlich zehntausendfach durchgeführt, um teilweise lebensbedrohliche Herzfehler zu therapieren. Seit April 2015 ist in China auch die Transplantation von Augenhornhaut aus Schweinen zugelassen.

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Schweine sind besonders vielversprechende Tiere für die Xenotransplantation. Bildquelle: Wikipedia

Auch größere Organe wie Nieren oder Herzen sind möglicherweise von Schweinen auf Menschen verpflanzbar, da sie anatomisch sehr ähnlich sind. Ein Problem ist jedoch die Abstoßung durch das Immunsystem. Herzklappen haben den Vorteil, dass sie noch funktionstüchtig sind, nachdem sie von allen lebenden Zellen befreit wurden, so dass unser Immunsystem sie nicht als fremd erkennt.

Einen raffinierten Trick haben Wissenschaftler entwickelt, um auch lebende Islet-Zellen aus Schweinen transplantieren zu können. Diese Zellen produzieren das Insulin, das Diabetikern fehlt, so dass diese in Zukunft auf tägliche Spritzen verzichten könnten. Die Wissenschaftler hüllten Islet-Zellen aus Schweinen in kleine Gelee-artige Kugeln, bevor sie sie in Menschen verpflanzten. Die Kugeln verhindern, dass das Immunsystem die fremden Zellen erreichen kann. Der Austausch von Stoffen – insbesondere des lebenswichtigen Insulins – ist aber weiterhin möglich. Ein Patient, der solche Zellen erhielt, zeigte auch nach 9 Jahren noch keine Abstoßungsreaktionen. Diese Methode wird zurzeit in klinischen Studien getestet und scheint die tägliche Insulingabe zumindest reduzieren zu können.

Für komplexere Gewebe oder Organe ist das jedoch keine Lösung. Wenn die Abstoßung durch das Immunsystem schon bei menschlichen Organen ein Problem ist, wie soll das dann bei Organen aus Tieren funktionieren?

Ein zusätzliches Problem sind möglicherweise auf Menschen übertragbaren Krankheiten. Prinzipiell ist diese Schwierigkeit bei Xenotransplantaten zwar kleiner als bei herkömmlicher Organtransplantation. Denn während ein menschlicher Organspender alle möglichen unentdeckten Krankheiten haben kann (wie in diesem tragischen Fall Tollwut), kann man ein Tier, das für die Organspende bestimmt ist, in speziellen Sicherheitsställen aufziehen und so von Krankheiten fernhalten. Leider macht uns die Natur einen Strich durch diese Rechnung. Eine bestimmte Klasse von Viren, die Retroviren, können sich in die DNA von Lebewesen einbauen. Das ist bei Schweinen so oft passiert, dass einige Retroviren heute fester Bestandteil des Schweineerbguts sind. Schweine werden also schon mit diesen Viren geboren.

Beide Probleme – Retroviren und Organabstoßung – ließen sich theoretisch mithilfe von Genmanipulation lösen. Viren-DNA im Genom kann man gezielt unschädlich machen. Außerdem kann man die Strukturen auf Schweinezellen, die von unserem Körper als fremd erkannt werden, gentechnisch so verändern, dass sich unser Immunsystem nicht mehr an ihnen stört. Der Haken hierbei war bisher, dass die Veränderung eines einzigen Schweinegens mehrere Schweinegenerationen dauert. Dr. Joseph Tector berichtete in einem Interview mit der Zeitschrift Nature, dass er drei Jahre benötigte, um ein einziges Gen aus dem Schweinegenom zu entfernen.

Mit dem Aufkommen der neuen Methode CRISPR/Cas9 haben sich aber unsere Möglichkeiten zur Genveränderung mit einem Schlag drastisch verbessert. Diese Methode erlaubt die besonders effiziente gezielte Veränderung bestimmter Gen-Abschnitte, ähnlich der Suchen-und-Ersetzen Funktion in Textverarbeitungsprogrammen. 2015 nutzten Wissenschaftler in Boston CRISPR/Cas9, um das Erbgut eines Schweins an 62 Stellen gleichzeitig zu verändern. So konnten sie auf einen Schlag alle Retroviren aus dem Genom entfernen. Statt mehrerer Jahre pro Gen dauert es heute nur etwa 5 Monate, bis so ein Schwein auf der Welt ist. Mit der gleichen Methode entfernen die Wissenschaftler nun Angriffspunkte für das menschliche Immunsystem auf den Schweinezellen, so dass sie für Menschen verträglich werden.

Nicht nur das Tissue Engineering, sondern auch die Xenotransplantation ist also auf bestem Wege, Ersatzorgane für schwerkranke Menschen verfügbar zu machen. Unser Tipp ist, dass beide Bereiche eine immer größere Rolle im medizinischen Alltag spielen werden, weil jeder seine Stärken und Schwächen hat. Sehr wahrscheinlich ist auch eine Vermischung beider Ansätze. Zum Beispiel ließe sich das Gerüst einer Schweineniere vermutlich genauso mit menschlichen Stammzellen besiedeln wie das einer menschlichen Niere.

Transplantationsmedizin und Tierversuche

Die Transplantationsmedizin ist ein Bereich, der sich ständig weiterentwickelt. Seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts rettet, erleichtert und verbessert sie täglich Menschenleben. Wir leben in einer Zeit, in der wir der Medizin dabei zusehen können, wie sie sich weiterentwickelt. Damals wie heute hängen Fortschritte in der Transplantationsmedizin zwingend von Tierversuchen ab. Tierversuche waren notwendig um herauszufinden, wie man Blutgefäße miteinander verbinden kann, zu verstehen, wann ein Spender geeignet oder nicht geeignet ist, sowie die Mechanismen der Organabstoßung zu verstehen und Medikamente dagegen zu entwickeln. Heute werden sie benötigt, um Transplantationstechniken zu verbessern und Schritt für Schritt das Problem der Spenderorganknappheit zu lösen.

Bis es so weit ist, sind wir darauf angewiesen, dass möglichst viele Menschen sich bereit erklären, im Todesfall ihre Organe zu spenden. Ich habe meinen Organspendeausweis immer im Geldbeutel. Wer auch einen will – hier lang.