Ersties sind die Besten!

Pro-Test Deutschland als Button

Zum Beginn des Wintersemesters waren wir von  Pro-Test auf der Ersties-Einführung der Uni Tübingen. Die meisten von uns sind jetzt noch nicht so ewig aus dem Studium, viele studieren selbst noch. Ich schon lange nicht mehr, OK, aber ich bin ja auch der Uropa bei Pro-Test mit meinen 40 Jahren. Naja, jedenfalls liegt es nahe, dass die studierende Bevölkerung für uns eine wichtige Zielgruppe ist. Deswegen war ich richtig happy, als die Uni Tübingen uns eingeladen hat, im Rahmen ihrer Erstie-Einführung am 19. Oktober 2017 einen Infostand zu machen.

Die offizielle Erstie-Einführung mit Ansprache des Rektors usw. ist eine erwartungsgemäß erhebend-dröge Angelegenheit. Aber im Anschluss gibt’s im Hörsaalzentrum immer einen Haufen Stände, die über alle möglichen Aktivitäten und Hochschulgruppen informieren, und das ist immer ein Klasseabend. Da merkt man zum ersten Mal, was an der Uni so läuft, als Erstie weiß man ja Vieles einfach noch nicht. Von Studentenwerk und Fachschaften über Hochschulsport und Studi-Radio bis hin zu den politischen Hochschulgruppen ist alles dabei. Wer’s zu Studienbeginn wissen will, kann so gleich schonmal rausfinden, ob hier Kanupolo angeboten wird oder es eine Ortsgruppe der Internationalen Anarchistischen Volksfront gibt. “Dies Universitatis” muss sowas an der Hochschule dann natürlich heißen, ist doch toll, wenn man mit seinem großen Latinum auch mal was anfangen kann…

Zu unserem Stand sind wir auf einem etwas krummen Umweg gekommen: Die Tübinger Tierschützer haben uns dazu verholfen! Der lokale Verein “Act for Animals” hatte die Universitätsleitung nämlich gebeten, teilnehmen und einen Stand organisieren zu dürfen. Die Tierschützer bekamen die Erlaubnis zu einem Stand. Nun wollte man aber seitens der Uni gern auch noch eine andere Stimme zum Thema Tierversuche einladen, und da erinnerte man sich an diesen Verein, der in Tübingen ja auch aktiv ist und was zum Thema zu sagen hat. Eine nette Einladung später waren wir Pro-Testler mit von der Partie. Danke, Act for Animals! Und Danke für die ausgewogene Lösung und Offenheit für das heiße Eisen, Uni Tübingen!

Zum 19. Oktober haben wir dann unsere schicken T-Shirts angezogen, die wir zum Science March dieses Frühjahr gedruckt hatten. Soviel Auslauf haben die bisher nämlich noch nicht bekommen.

Offizielles Pro-Test Deutschland T-Shirt

Unsere T-Shirts: Blau ist das neue Schwarz!

Wir haben tonnenweise Flyer und Laminate mitgenommen, dazu ein paar (vegane) Kekse – irgendjemand hat uns den Tipp gegeben, dass Futteralien bei den Ersties gut ankommen. Dann habe ich noch eine allgemeine “Worum geht’s bei Pro-Test Deutschland”-Präsentation zusammengeklickt, die den ganzen Abend auf einem Laptop-Bildschirm in Dauerschleife lief. Die hat, glaube ich, den ganzen Abend über genau gar keine Person angeschaut. Naja, war auch mehr als eyecatcher gedacht.

Und dann standen wir da, Marie, Pooja, Artur und ich, und warteten auf Kundschaft. Es war ganz schön was los, und wie es der Zufall (oder die Universitätsleitung?) wollte, befand sich unser Stand direkt neben dem Haupteingang des Hörsaalzentrums. Also, so 30 Zentimeter von der Tür entfernt. Wie großartig das ist, wenn man zufällig eine metrische Tonne kleiner blau-weißer Flyer dabei hat, ist uns nach ein paar Minuten klar geworden: Ausnahmslos jede*r Vorbeikommende bekam erstmal so ein Ding in die Hand gedrückt. Besonders Artur hat so eine charmant-aggressive Art, Flyer zu verteilen, dass man sich schon aktiv in Sicherheit bringen muss, um mit leeren Händen davonzukommen. Irgendwie schafft er es dabei sogar, dass die Leute ihm nicht böse sind!

Und die Flyer haben die Leute nicht nur behalten, sondern auch gelesen. Und dann sind sie zu uns zurückgekommen, haben Fragen gestellt, waren nett, haben sich bedankt… Im Laufe des Abends wurde mir allmählich klar: Ersties sind die Besten!

Marie ins Gespräch vertieft

Marie verteilt Flyer, Paul macht Fotos. Mit seiner Handykamera. Die wirklich Mist ist. Nicht zuhause nachmachen!

Ich kannte bis jetzt natürlich nur das Publikum auf der Straße. Da wird man so an jeden zehnten Passanten mal einen Flyer los. Und aus irgendeinem unerfindlichen Grund scheinen auf der anderen Straßenseite immer wesentlich mehr Leute unterwegs zu sein als auf der eigenen. Wenn man nach ein paar Stunden seinen Posten verlässt, sieht man in jedem Mülleimer, an dem man vorbeikommt, einen Haufen Flyer liegen. Manche liegen auch auf dem Boden herum. Um ins Gespräch zu kommen, muss man die Leute ansprechen und ein paar Schritte mitgehen, und viele wollen einfach nicht. Was natürlich aber sowas von OK ist! Man mag nicht unbedingt von Fremden angesprochen werden oder alles lesen, was man in einem unbedachten Impuls erst einmal angenommen hat, und vor allem hat man vielleicht gerade was anderes zu tun als anzuhalten und sich ausgerechnet über Tierversuche zu unterhalten.

"Wir müssen reden" – Unser Flyer ist ein guter Konversationsstarter

Was Leute sagen, die einen Blick auf unseren Flyer geworfen haben: „Ach ja? Worüber denn?“ ––– Was wir denken, wenn Leute das sagen: „Strike! Die Dinger funktionieren!“

Hier aber war das vollkommen anders. Ersties sind vor allem eines: ungeheuer neugierig. Ich hatte ja die Befürchtung, dass viele nur kommen, um an jedem Stand ein paar Goodies abzustauben. Aber das war absolut nicht der Fall. Die allermeisten waren richtig guter Laune und begierig darauf zu entdecken, was an der Uni und in ihrem Umfeld so läuft. Viele kamen direkt an den Stand und stellten die Frage des Abends: “Und was macht Ihr so?” Und schon war man im Gespräch.

Pooja erklärt, wer wir sind und was wir machen

„Und was macht ihr so?“ – Pooja erklärt’s Dir!

Die häufigste Reaktion auf unsere Selbstbezichtigungen war dann: “Wow, das ist ja cool, find ich total gut!” Nicht unbedingt, weil wir Tierversuche in der biomedizinischen Forschung unterstützen – obwohl einige auch das schonmal erfrischend und wichtig fanden. Sondern vor allem, weil wir rausgehen und das heiße Eisen anpacken. Weil wir uns hinstellen und etwas offen ansprechen, das offenbar von den meisten als Thema zum Weggucken und Wegducken empfunden wird.

Wenn man frisch an die Uni kommt, dann ist genau diese Haltung das, wonach man sucht und was man erwartet: Hier wird den Dingen auf den Grund gegangen, hier wird offen die Faktenlage und dann das Pro und Contra diskutiert, hier darf man sich trefflich streiten, ohne dass es in Hass und Beschimpfungen und unsachlichen Mist ausartet. Erwartungshaltung, nicht Realität, schon klar. Aber das ist ja immerhin das Ideal, nachdem das Leben und Lernen an der Universität strebt, nicht wahr?

Und, ja, vielleicht auch das ein bisschen: Wenn man frisch an die Uni kommt, erwartet man, dass da genug vergeistigte Spinner unterwegs sind, dass man selbst für ziemlich seltsame Ansichten und Interessen jemanden findet, der sich vehement dafür einsetzt. Kanupolo, die anarchistische Internationale, und – Tierversuche.

Zumindest fasst das ganz gut die Erwartungshaltung zusammen, mit der ich selbst vor einem halben Leben an die Uni gegangen bin. Auch wenn ich damals mit 19 das nicht so hätte aussprechen können. Damals wie heute ist es das, was ich am Universitätsleben und am akademischen Dasein überhaupt so großartig finde: Auf ein “lass uns drüber diskutieren” folgt nicht ein “du kannst mich mal!”, sondern ein “dann lass mal hören!”

Die Ersties verkörpern diese Erwartung, dieses Ideal vielleicht mehr als jede andere Gruppe an der Universität. Und genau deshalb sind Ersties einfach die Besten!

„Ich habe das Gefühl, wir verstecken uns – das darf nicht sein!“

Pro-Test Deutschland zu Gast an der Universität des Saarlandes


von Emma Pietsch

Pro-Test Deutschland e. V. will eine faire Diskussion zum Thema Tierversuche auf der Grundlage von verlässlichen Informationen über wissenschaftliche, ethische, rechtliche, soziale und psychologische Aspekte tierexperimenteller Forschung anregen. Für viele Menschen außerhalb der Wissenschaft ist es schwierig, an verlässliche Informationen zu gelangen. Wissenschaftler, die mit Tieren arbeiten, wissen mehr über das Thema und tragen daher die Verantwortung, ihr Wissen zu teilen und Rechenschaft abzulegen.

Als wir von der Tierschutzbeauftragten der Universität des Saarlandes, Dr. Monika Frings, eingeladen wurden, einen Vortrag über Pro-Test zu halten, entschieden wir uns für den Titel „Wir müssen reden – Tierversuche offen kommunizieren“.

Hat uns eingeladen: Dr. Monika Frings, Tierschutzbeauftragte der Universität des Saarlandes

Wir, das sind Julia und Emma aus der Heidelberger Pro-Test-Gruppe. Am 22. Juni 2017 standen wir dann in Homburg über 50 Mitarbeitern aus den Laboren und Tierställen gegenüber. Allein die ziemlich große Zahl von Anwesenden zeigte uns, dass das Thema der „richtigen“ und offenen Kommunikation viele Wissenschaftler beschäftigt, für die Tierversuche zum Laboralltag gehören. In der Debatte wurde dann auch immer wieder deutlich, dass viele einfach nicht wissen, ob und wie sie über ihre Experimente reden sollen. Generell war sich das Publikum einig, dass Tierversuche notwendig sind und nicht grundsätzlich abgelehnt werden können. Über die Art der Kommunikation und Transparenz von Tierversuchen wurde aber lebhaft diskutiert. Der Landesbeauftragte für Tierschutz des Saarlandes, Dr. Hans-Friedrich Willimzik, trug maßgeblich dazu bei.

War nur teilweise unserer Meinung: Dr. Hans-Friedrich Willimzik, Tierschutzbeauftragter des Saarlandes

Er betonte, es müsse klar gemacht werden, dass nur Versuche unterstützt werden, die „notwendig und sinnvoll“ sind. Eben darin liegt aber bereits ein erstes Problem: Über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit eines Versuchs entscheidet nicht der Wissenschaftler selbst. Und auch wir möchten uns gar nicht anmaßen, zu entscheiden, welche Versuche gemacht werden sollten und welche nicht. Das ist Aufgabe der Kommission, die nach der Antragstellung für ein Tierexperiment von der Genehmigungsbehörde eingesetzt wird.

Insgesamt schien es vielen Zuhörern eine Herzensangelegenheit zu sein, einmal offen zu erklären, worin sie die Schwierigkeiten sehen, Tierexperimente aufgeschlossener zu kommunizieren – im Privaten genauso wie im öffentlichen Raum. Die Debatte drehte sich daher auch immer wieder um die Möglichkeiten, wie ganz konkret an der Universität des Saarlandes die Kommunikation zum Thema Tierversuche verbessert werden könnte, und welche Schwierigkeiten oder Ängste damit verbunden sind. Große Institutionen wie Universitäten sehen sich mit anderen Problemen konfrontiert als ein gemeinnütziger Verein wie Pro-Test Deutschland. Viele Wissenschaftler und Universitätsmitarbeiter befürchten, dass durch offenere Kommunikation Tierversuchsgegner auf den Plan gerufen werden könnten, die den Laborbetrieb stören oder auf anderem Wege Schaden anrichten könnten. Auch aus dem Homburger Publikum bekamen wir diesen Einwand zu hören. Dennoch war sich das Publikum einig, dass insgesamt offener mit Tierversuchen umgegangen werden sollte, und dass die befürchtete Konfrontation mit Tierrechtsorganisationen und Tierversuchsgegnern dem Wunsch nach mehr Transparenz nicht im Weg stehen darf. Schon im eigenen Interesse: Wollen wir wirklich, dass die Öffentlichkeit Informationen nur von Tierversuchsgegnern beziehen kann?

Erschreckendes Ergebnis einer Umfrage unter EU-Bürgern, woher sie ihre Informationen zu Tierversuchen beziehen: Überallher, nur selten von den Forschern selbst!

Eine Wortmeldung lautete: „Ich habe das Gefühl, wir verstecken uns. Das darf nicht sein.“ Wir sehen das genauso. Die Auseinandersetzung mit Tierversuchsgegnern soll nicht gescheut, sondern als Dialog angeregt werden, bei dem beide Seiten zu Wort kommen und sachlich argumentieren können. Es ist begrüßenswert, wenn eine Gesellschaft über die Dinge spricht, die alle etwas angehen.

Wir haben uns sehr über die Einladung, die rege Debatte in Homburg und das positive Feedback zu unserer Arbeit gefreut und bedanken uns bei allen Zuhörern ganz herzlich. Wir selbst nehmen auch viele neue Denkanstöße und Anregungen mit und hoffen, dass der ein oder andere einen eigenen Weg findet, seine Experimente offener anzusprechen. Pro-Test bietet eine Plattform, auf der Wissenschaftler selbst zu Wort kommen können, und füllt mit seiner Arbeit eine Informationslücke, aber das ist nur einer der vielen Wege, um (endlich) offen zu reden.

Wir unterstützen den March for Science

Heute ist der March for Science. Heute gehen an 500 Standorten weltweit zahllose Wissenschaftler auf die Straße. Warum tun die das? Einige von uns, die selbst dabei sein werden, geben ihre ganz persönlichen Antworten.

„Klar – wenn jahrhundertelang niemand Wissenschaft betrieben hätte, dann ginge es heute allen Menschen schlechter. Schön und gut. Aber heißt das denn, dass auch jede aktuelle Forschung sinnvoll ist?

Wissenschaft machen nur wenige. Stellvertretend für uns alle suchen, zweifeln und scheitern sie, und stoßen doch immer wieder auf kleine und große Erkenntnisse, die unser Leben verändern. Kann man ihnen diese Verantwortung wirklich anvertrauen? Was für Menschen sind das überhaupt? Was treibt sie an? Und welche Werte bestimmen ihr Handeln? Muss ich blind vertrauen, wenn ich nicht selbst „vom Fach“ bin?

Das sind verdammt gute Fragen, und sie alle verdienen eine ehrliche Antwort. Niemand kann dazu besser Rede und Antwort stehen als wir selbst: Forscher und Tierpfleger, Studierende und Professorinnen! Wir alle können selbstbewusst unser Gesicht zeigen, klar und deutlich Position beziehen – und gemeinsam für eine freie und ergebnisoffene Wissenschaft eintreten.“

–  Florian Dehmelt

„Menschliche Errungenschaften wie die Stromversorgung, barrierefreies Internet und eine gute Verkehrsinfrastruktur sind nicht selbstverständlich. Sie sind das Produkt von Neugier, Fragen und Mühen von Wissenschaftlern, die den Mut und die Möglichkeiten hatten, Neues auszuprobieren.

Dank des Internets ist es heute einfacher, Ideen auszutauschen: Aus aller Welt arbeiten Wissenschaftler gemeinsam an Lösungen von morgen, damit Bestehendes besser und Neues geschaffen wird – und unser Planet dabei für alle erhalten bleibt. Wissenschaftler müssen dabei neugierig sein dürfen. Auch unangenehme Fragen führen zu Erkenntnissen, die allen helfen, sei es in Ökologie, Medizin oder Politik. Deshalb darf die öffentliche Finanzierung transparenter Forschung nicht auf Grund von Interessen einzelner Personen und Lobbyisten eingeschränkt werden. Forschung und frühe Wissenschaftsbildung liegen in humaner Verantwortung und sollten damit weit über staatliche Interessen hinausgehen.

Konkret bedeutet das: faire Finanzierung, ehrlichen Datenaustausch und freies Reisen für Forscher aller Nationen. Um an diese Voraussetzung freier Wissenschaft zu erinnern, nehme ich am Science March teil.“

–  Marie Schmidt

„Am 22. April werde ich in Tübingen mit allen anderen auf die Straße gehen, die der Wissenschaft ihre Stimme leihen wollen.

Als ich vor knapp zwei Jahren mitgeholfen habe, Pro-Test Deutschland e.V. aufzubauen, war genau das unser Anliegen: Zuviele von uns hüllen sich in Schweigen, wir erklären uns nicht, wir erwarten gesellschaftliche Akzeptanz, Anerkennung und Ansehen, und vermitteln doch nur allzu selten, warum, zu welchem Ende und wie wir Wissenschaft betreiben. Sicher: Es ist nicht leicht, unter zivilgesellschaftlich scheinbar drängenderen Themen auch für die Anliegen der Wissenschaft ein offenes Ohr in der Öffentlichkeit zu finden. Aber das heißt noch lange nicht, dass man es nicht versuchen sollte.

Als Initiative, die für offene Kommunikation über Tierversuche in der Forschung eintritt, haben wir von Pro-Test Deutschland e.V. es gewissermaßen leichter als viele Kollegen, über unsere Wissenschaft zu sprechen. Immerhin gehen wir mit einem der heißen Eisen in der Debatte über Wissenschaft um, so dass unserem Thema zumindest Aufmerksamkeit gewiss ist. Dennoch scheint der öffentliche Diskurs in diesem Themenfeld weitgehend von faktenbefreiter Stimmungsmache und der Verhandelbarkeit aller Information beherrscht zu sein. Und auch in diesem Feld mangelt es der Wissenschaft an einer Stimme, die jene Dinge einfordert, die Grundlage eines jeden vernünftigen gesellschaftlichen Diskurses sein sollten. Für diese Dinge will ich – nicht nur am 22. April – einstehen:

Die Pflicht zur Redlichkeit. Die Kritik des eigenen Standpunktes. Das freie Offenlegen der Vorgehensweise. Das Beharren auf Nachweisen für Aussagen. Die ergebnisoffene, evidenzbasierte Suche nach dem, was wir mit gutem Grund für die Wahrheit halten können. Und die Freiheit, als Wissenschaftler auch in Zukunft ohne Angst vor Repressalien und in mündiger Eigenverantwortung unsere Fragen zu stellen – und die Antworten unseren Mitmenschen so mitzuteilen, wie sie wirklich sind.“

–  Paul Töbelmann

Und dann haben wir noch eine etwas ausführlichere Erklärung von Lars, der die Anliegen, die sich an den March for Science knüpfen, ein bisschen stärker auf unser Kernthema bezieht:

„Für eine faktenbasierte Diskussion über Tierversuche

Tierversuche in Forschung und Entwicklung stellen uns vor ein Dilemma. Auf der einen Seite stehen Tod und Leid der Versuchstiere. Sollten wir sie nicht lieber verschonen? Auf der anderen Seite steht der Nutzen, den wir durch das erlangte Wissen haben. Wissen, das uns gegebenenfalls in der Zukunft ermöglicht, Patienten das Leben oder Tierarten vor dem Aussterben zu retten. Sollen wir die wirklich im Stich lassen? Wir müssen uns als Gesellschaft einigen. Welche Tierversuche sind gewollt, welche nicht? Diese Entscheidung ist alles andere als trivial. Wer sich nur ein bisschen mit dem Thema beschäftigt, merkt schnell, dass Versuch nicht gleich Versuch ist und Nutzen nicht gleich Nutzen. Die Methoden ändern sich ständig, damit auch die mögliche Belastung für die Tiere. Wir brauchen eine andauernde Debatte.

Was wir stattdessen haben, ist eine Farce. Organisierte Tierversuchsgegner haben sich aus der Diskussion um eine ethische Bewertung lange verabschiedet. Stattdessen fahren sie die gleiche Strategie, wie in den 50ern die Tabakindustrie, später die agendagetriebenen Klimaleugner oder Impfgegner. Sie leugnen die Fakten. Es gäbe gar kein Dilemma. Man könne jederzeit auf Tierversuche verzichten, ohne den geringsten Preis dafür zahlen zu müssen. Im Gegenteil, die Wissenschaft würde dadurch automatisch besser. Wie erklärt man dann, dass die Wissenschaftler geschlossen etwas anderes versichern? Na, ganz einfach, die lügen halt alle.
Einzelne Wissenschaftler diffamieren, Kompetenz absprechen, Interessenskonflikt unterstellen, das alles ist direkt aus dem Strategiekonzept anderer großer Wissenschaftsleugner übernommen.
In aufwändigen Kampagnen werden einzelne Wissenschaftler angegriffen. So der Bremer Professor Kreiter, der in kostspieligen, überregionalen Zeitungsanzeigen als “eiskalter Experimentator” bezeichnet wurde, der aus reinem Sadismus völlig nutzlose Forschung betreibe.

In den einschlägigen Flugblättern, Webseiten und Pressemitteilungen werden die Wörter “Wissenschaftler” oder “Forscher” stets in Anführungszeichen gesetzt. Den Wissenschaftlern wird die Wissenschaftlichkeit abgesprochen. Ihre Arbeit hätte nicht den geringsten wissenschaftlichen Wert, wird gebetsmühlenartig wiederholt. Wenn man es nur oft genug sagt, muss es ja irgendwann wahr werden. Wirkliche Kompetenz hätte nur man selbst, die Tierrechtsorganisation. Medizingeschichte wird einfach umgeschrieben. Die Insulintherapie für Diabetiker? Völlig unabhängig von Forschung mit Hunden entwickelt worden! Der Nobelpreis im Jahre 1923 folglich zu Unrecht vergeben. Die tiefe Hirnstimulation zur Behandlung von Parkinson? Völlig unabhängig von Forschung in Affen entwickelt! Dass Dr. Benabid, der Arzt, der damit erstmalig Patienten erfolgreich behandelte, sagt, dass seine Methode auf der Forschung eines Kollegen mit Affen aufbaut, kann dann ja nur daran liegen, dass er keine Ahnung von der Materie hat. Oder lügt. Diese Liste lässt sich noch lange fortsetzen. Wer “Tierversuche” googelt, findet solche Abhandlungen gleich unter den ersten Treffern.

Je radikaler die “alternative” Version der Wirklichkeit von der offiziellen abweicht, desto bereitwilliger scheint sie aufgenommen zu werden. Wie sehr das fruchtet, merke ich regelmäßig in Diskussionen. Kaum eine Kommentarspalte zum Thema, in der nicht mindestens einmal der Ausspruch zitiert wird: “es gibt nur zwei Gründe, Tierversuche zu befürworten, man weiß zu wenig darüber, oder man verdient daran” (Hartinger). Ein anderer Evergreen: “Wer nicht zögert, Tierversuche zu machen, wird auch nicht zögern, darüber zu lügen” (Shaw). Der schnelle Ausweg aus der kognitiven Dissonanz: Informationen, die nicht zu meiner Meinung passen, müssen unwahr sein. Die Wirklichkeit wird verbogen, bis kein Dilemma mehr existiert, bis es nur noch eindeutig richtig und eindeutig falsch gibt. Dass in dieser Version Heerscharen unabhängiger Forscher weltweit lügen müssten, während Tierrechtsorganisationen mit eindeutiger Interessenslage die einzigen wären, die die Faktenlage richtig erfassen und wissenschaftlich einordnen könnten, müsste eigentlich bei jedem für einen vollen Ausschlag des Bullshit-Detektors reichen. Tut es aber nicht.

Das mag daran liegen, dass die Texte der Tierrechtsorganisationen zum Teil sehr geschickt geschrieben sind. Durch die altbekannten Methoden des Cherrypicking, dem gezielten Auslassen eines ganzen Bergs an wichtigen Informationen, und der verzerrten Darstellung von Halbwahrheiten, lässt sich eine fundiert klingende Version der Wirklichkeit schreiben, die den Autoren wie durch Zufall genau in den Kram passt. Mit Quellenangaben und allem.

Aber wenn Tierversuche so nutzlos sind, warum werden sie dann durchgeführt? Na, aus Geldgier, natürlich! Es wird nach Herzenslust von einer “Tierversuchsindustrie” fabuliert, die so mächtig sei, dass sie die besseren tierfreien Alternativmethoden unterdrücke. Unabhängige Forscher könnten angeblich nur dicke Förderungen absahnen, wenn sie Tierversuche machten. Erfolgreiche Karrieren von Grundlagenforschern, die ausschließlich an Menschen, mit Computersimulationen, oder Hefezellen arbeiten, bringen die gefühlte Wahrheit dieser Vorstellung nicht ins wanken. Außerdem scheffele big Pharma Unsummen mit unnötigen Tierversuchen. Moment, Pharmaunternehmen verdienen dadurch, dass sie etwas machen, das viel Geld kostet, aber keinerlei Nutzen hat? Eine weitere Steilvorlage für jeden inneren Bullshit-Detektor. Aber die Kombination von big Pharma und Raffgier scheint heutzutage schon für Glaubwürdigkeit auszureichen, egal wie abenteuerlich die Anschuldigung.

Doch bei allen Parallelen zu anderen Fällen systematischer Faktenleugnung gibt es bei der Tierversuchsdiskussion einen wichtigen, großen Unterschied. Den eklatanten Mangel an Widerspruch. Bei den Themen Impfen oder Klimawandel gibt es klare, laute Stellungnahmen, von den größten internationalen und nationalen Wissenschaftsorganisationen bis zu den einzelnen Wissenschaftlern, die sich in Interviews, Blogs und Kommentarspalten um Richtigstellung bemühen. Wir sehen, dass das bei weitem nicht ausreicht – große Teile der Gesellschaft misstrauen der wissenschaftlichen Darstellung der Lage. Beim Thema Tierversuche haben wir aber nicht einmal das. Mit denen möchte niemand assoziiert werden. Kaum einer, der Tierversuche macht oder auf Daten daraus zurückgreift, erklärt sich der Öffentlichkeit. Ein Grund mag sein, dass es sich lediglich um eine Gruppe von Methoden handelt, Mittel zum Zweck. Bei Klima oder Medizin geht es um Ergebnisse, um Erkenntnisse, die in langer, mühsamer Arbeit der Natur abgerungen wurden. Wenn das jemand leugnet, etwa behauptet es gäbe kein HIV oder Masernviren, leugnet er gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis, den Kern dessen, wofür wir unser Leben lang arbeiten. Bei einer Tier-basierten Methode ist das anders. Gäbe es da eine tierfreie Alternative mit höherer Aussagekraft, würde sie im Handumdrehen Einzug in die Labore halten und den entsprechenden Tierversuch verdrängen, selbst wenn das nicht bereits gesetzlich so vorgeschrieben wäre. Wie schnell so etwas geht, kann man an den Beispielen der neuen Methoden Optogenetik oder CRISPR sehen, die in wenigen Jahren weltweit neuer Standard geworden sind. Wer will schon für Tierversuche einstehen, wenn es jedem recht wäre, wenn sie überflüssig würden? Der Knackpunkt ist, dass sie es eben noch nicht sind und auf absehbare Zeit nicht sein werden.

Ich möchte in aller Deutlichkeit klarmachen, was hier auf dem Spiel steht. Tierversuche sind essentiell für die biomedizinische Forschung. Auf sie verzichten, bevor wir sie gleichwertig ersetzen können, bedeutet, Erkenntnisse zu verzögern und damit all jene im Stich lassen, die von ihnen bis dahin profitiert hätten. Zum Beispiel Schwerkranke. Aber es geht um noch mehr. Die Angriffe auf Forschung mit Tieren sind zu einem beträchtlichen Teil Angriffe auf Grundlagenforschung im allgemeinen. Es wird polemisiert, Tiere müssten sterben, damit Forscher (selbstverständlich in Anführungszeichen) ihre Neugier befriedigen könnten. Einzelne Projekte aus der Grundlagenforschung werden willkürlich herausgepickt und als Beispiele eindeutig nutzloser Forschung beschimpft, als “Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Experimentatoren”. Einzelne Projekte, kleinste Puzzlestücke eines langen Erkenntnisprozesses, aus dem Zusammenhang reißen um eine offensichtliche Nutzlosigkeit unterstellen zu können, ist ein schmutziger Trick, ein cheap shot gegen die Wissenschaft, mit dem auch amerikanische rechtsaußen Politiker regelmäßig Forschungsförderung als Geldverschwendung darstellen.

Die Tierversuchsdiskussion, die wir heute haben, ist ein weitgehend unwidersprochener Angriff auf die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftlern, der Validität von Evidenz und das Konzept der Grundlagenforschung. Wir sehen in anderen Bereichen, wie schwierig es sein kann, Wissenschaft gegen solche Angriffe zu verteidigen. Eine Verteidigung ganz sein zu lassen und der Demontage einer der größten Errungenschaften unserer Zivilisation tatenlos zuzusehen ist Wahnsinn. Es ist unverantwortlich im höchsten Maße.

Seit kurzem gibt es die Initiative Tierversuche Verstehen, die mit der Legitimation aller großen deutschen Wissenschaftsverbände endlich versucht, dem etwas entgegen zu setzen. Aber das reicht bei weitem nicht aus. In Zeiten der Google-Suche ist das nur ein einzelner Treffer, eine einzelne Stimme im Morast der Fehlinformationen. Der offizielle Rückhalt von Wissenschaftsvereinigungen fällt für den normalen Internetnutzer nicht ins Gewicht. Was wir brauchen, ist Vielstimmigkeit. Es muss eine Selbstverständlichkeit sein, dass jedes Institut, das mit Tieren forscht, eine Erklärung zu Tierversuchen gut sichtbar auf seiner Homepage platziert. Es muss der Normalfall sein, dass Journalisten eingeladen werden, die Versuchstierhaltung zu besichtigen. Wir müssen transparent mit der ethischen Abwägung umgehen, die wir vornehmen. Was genau muten wir welchen Tieren zu und welchen Grund haben wir, uns davon welchen Nutzen zu versprechen? Diese Abwägung nehmen wir im Auftrag der Öffentlichkeit vor. Es ist unsere Verpflichtung, der Öffentlichkeit diese Informationen zugänglich zu machen.

Aber auch das reicht nicht aus. Wir brauchen die Stimmen der einzelnen Wissenschaftler. Wir sind diejenigen, die Tierversuche verantworten. Wir sind Menschen mit individuellen Beweggründen, kein gesichtsloses Institut. Unsere Beweggründe, unsere Gesichter und unsere Stimmen braucht es in den Blogs, Kommentarspalten und Gesprächen.
Was wir dabei in jedem Beitrag beherzigen sollten, ist die klare Trennung von Meinungen und Fakten. Ein Wissenschaftler, der der Versuchung erliegt, seine Meinung als einzig mögliche Schlussfolgerung, als von den Fakten vorgegebene Konsequenz darzustellen, verfehlt seinen Auftrag. Das gilt im übrigen nicht nur für dieses Thema, sondern auch für alle anderen, bei denen Wissenschaft zu einer gesellschaftlichen Debatte beitragen kann. “Wir brauchen Tierversuche” ist kein Fakt. “Wir brauchen Tierversuche, um bestimmte wissenschaftliche Fragen beantworten zu können” ist ein Fakt. “Die Beantwortung dieser Fragen ist so wichtig, dass Tierversuche dafür nicht nur gerechtfertigt, sondern ethisch geboten sind“ ist eine Meinung. Es ist meine Meinung.

Diskutieren wir über Tierversuche! Nicht nur beim Science March. Respektieren wir, dass Menschen völlig andere Meinungen zum Thema haben können! Aber nur wenn Meinungen auf Fakten basieren, können wir uns sinnvoll über sie austauschen.“

–  Lars Dittrich

Würde Jane Goodall lügen?

Jane Goodall mit Plüschfreund Mr. H ("H-ope"), den sie auch nach Tübingen mitbrachte Bild: Wikimedia Commons

Jane Goodall mit Plüschfreund Mr. H („H-ope“), den sie auch nach Tübingen mitbrachte
Bild: Wikimedia Commons

„Wow, Jane Goodall kommt nach Tübingen! Jane Goodall! Da muss ich hin!“ So oder so ähnlich werden die meisten der 700 Zuhörer reagiert haben, als sie das erste Mal die Ankündigung sahen. Am 7. Dezember sollte sie kommen, im größten Hörsaal sprechen, über sich und „Jane’s Journey“, über ihre Forschungen zum Verhalten von Schimpansen und darüber, wie sie sich von der Forscherin zur Aktivistin gewandelt hat. Wenn jemand wie sie kommt, dann ist das im wissenschaftlichen Bereich kaum noch zu toppen: Ob Stephen Hawking oder Richard Dawkins oder James Watson oder Noam Chomsky mehr Publikum gezogen hätten?

Wie diese Herren ist Jane Goodall eine lebende Legende, eine Ikone, ein Popstar. Sie hat nicht so sehr Anhänger, eher Fans. Jane, wie sie sich grundsätzlich anreden lässt, ist weit mehr als eine berühmte Wissenschaftlerin. Als Aktivistin kann man sich kaum jemanden vorstellen, der aktiver für seine Sache eintritt, trotz ihrer 82 Jahre. 300 Tage im Jahr reist sie herum, hält Vorträge wie den in Tübingen, sammelt Spenden, kämpft für ihre Anliegen: Menschen aufklären, Wildtiere schützen ­und – Tierversuche beenden. Dass Jane eine der bekanntesten Forscherpersönlichkeiten auf dem Planeten ist, macht sie gleichzeitig zu einer der sichtbarsten und erfolgreichsten Aktivistinnen.

Sie kann dabei mit einem Pfund wuchern, das weder Hawking noch Dawkins, weder Watson noch Chomsky in die Waagschale werfen können: Sie gilt als fundamental guter Mensch. Jane ist vielleicht nicht Mutter Theresa, aber auch nicht so furchtbar weit weg. Wo Hawking eigentlich nur Physik gut erklären kann, Dawkins aggressiv seinen Atheismus predigt, Chomsky sich mit Wohlbehagen im Nesselfeld politischer Äußerungen gewälzt und Watson gar mit rassismusverdächtigen Äußerungen seine Karriere beendet hat, ist Jane einfach nur die Frau, die Tiere liebt.

Und was für eine beeindruckende Frau. Gegen zwanzig nach acht steigt Jane in Hörsaal N6 auf der Tübinger Morgenstelle die Treppe hinab, unprätentiös in eine praktische Outdoorjacke gehüllt, die Hände etwas überfordert mit drei Plüschtieren, einer Mappe und haufenweise kleinformatigen Notizzetteln, die ihr als erstes herunterfallen. Zuneigungsvolles Lachen im Publikum bei dieser allzu menschlichen Schwäche, Jane muss selber lächeln.

Dann geht ihr Vortrag los, Jane spricht leise, in wohlgesetzten Worten (viele davon sagt sie sicher nicht zum ersten Mal), die persönlich, warm, inspiriert und inspirierend klingen. Sie spricht von ihrer Mutter, die „Jane’s Journey“ erst möglich gemacht hat, indem sie ihr stets den Rücken gestärkt und sich nicht einmal beschwert hat, als Jane eine Handvoll Würmer in ihrem Bett verstecken wollte. Sie erzählt von einflussreichen Büchern (wie „Tarzan bei den Affen“, der leider „die falsche Jane geheiratet hat“) und wichtigen Menschen in ihrem Leben (wie ihr Förderer Louis Leakey). Ihre Forschungen kommen zur Sprache, sie berichtet von dem unglaublichen Gefühl, als sie das erste Mal sah, dass die Schimpansen in Gombe Werkzeuge benutzen – wie einen Zweig, um Termiten aus dem Bau zu angeln – und diese sogar herstellen – indem sie den Zweig vorher entblättern.

Schimpansen setzen Zweige nicht nur ein, um nach Termiten zu graben Bild: Wikimedia Commons

Schimpansen setzen Zweige nicht nur ein, um nach Termiten zu graben
Bild: Wikimedia Commons

Spätestens da wurde Jane, so erzählt sie es heute, vollkommen klar, dass Affen so sind wie wir, dass Menschen nichts Besonderes auf diesem Planeten sind. Jane stellt die Gretchenfrage: „Wie können wir mit uns selbst leben, wenn wir anderen denkenden, fühlenden Wesen Schmerzen und Foltern zufügen?” („How can we live with ourselves if we’re inflicting pain and torture on these other thinking feeling beings?“). Gute Frage. Es gibt gute Antworten darauf, aber sie liegen nicht auf der Hand. Es lohnt sich, über diese Frage offen, emotional ehrlich, auf der Basis erwiesener Fakten und solider ethischer Debatte nachzudenken.

Aber dann wird es ein kleines bisschen hässlich.

Denn Jane führt keine solche Debatte, sie stellt die Frage nicht als Aufforderung zum Nachdenken. Für Jane ist die Frage rein rhetorisch. Sie stellt sie, um einen Punkt zu machen. Sie will nicht wissen, wie man mit sich selbst leben kann, wenn man Tierversuche macht. Sie wollte es schon in den Achtzigern nicht wissen, als sie erstmals das Gespräch mit Wissenschaftlern suchte, die für das US-amerikanische National Institute of Health (NIH) mit Schimpansen experimentierten.

Hat Jane sie gefragt, warum sie derartige Versuche durchführen, hat sie versucht zu verstehen, welche Hoffnungen und Erkenntnismöglichkeiten dahinterstecken? Möglicherweise, aber man hört nicht heraus, dass sie wirklich verstanden hätte, was Wissenschaftler antreibt, die Tierversuche durchführen.

Sie beklagt sich, von Tierversuchsgegnern angefeindet worden zu sein, weil sie mit „solchen Menschen“ überhaupt noch spreche. Sie beteuert, man müsse auf diese Menschen zugehen, nicht das Gespräch vermeiden. Aber die zutreffenden, teilweise vielleicht auch schmerzhaften Wahrheiten erkennt sie nicht an. Einer von diesen Wissenschaftlern, der sie durch die Tierhaltung führte, bot ihr an, eines der Jungtiere zu halten und zu streicheln. Jane lehnte damals ab und kann das Verhalten des Wissenschaftlers heute noch nicht nachvollziehen. Sie hält es für im höchsten Maße kognitiv dissonant, einerseits Tierversuche durchzuführen und andererseits Empathie zu empfinden mit dem Versuchsobjekt.

Warum fällt es Jane so schwer zu glauben, dass Wissenschaftler empathisch sein und trotzdem an Tieren forschen können? Menschen sind kompliziert und oft widersprüchlich. Jane war verheiratet und hat eine Tochter; die Absurdität menschlicher emotionaler Logiken dürfte ihr nach langem, erfülltem Leben ausreichend vertraut sein. Aber sie gesteht denen, die sie als ihre Gegner ausgemacht hat, keine Empathie für die Kreatur zu. „Sie konnten nicht zugeben, dass sie keine mitfühlenden, besorgten Menschen waren“, sagt sie über die Wissenschaftler des NIH, mit denen sie damals sprach („They could hardly admit that they weren’t caring, concerned human beings“). Dann stellt sie diejenigen, denen die Affen am Herzen liegen, der medizinisch forschenden Community diametral gegenüber. Schließt sich das denn aus?

Für Jane schon. Sie spricht über einen am Tiermodell forschenden Wissenschaftler nicht wie über einen Menschen, den man verstehen möchte. Stattdessen bedient sie beliebte, durchaus platte Denkmuster: „Der Mann in seinem weißen Kittel“ („the man in his white coat“), so ihre konsistente Bezeichnung für einen Forscher, der ihr die Tierhaltung an seinem Institut vorführte. Ein klischeehafter Stereotyp, der dicker kaum aufgetragen sein könnte – und der deutlich macht, wie Jane sich selbst sehen und darstellen will: Als eine, die zwar als Forscherin berühmt geworden ist, aber selbst nie Teil des „Systems“ war. Ein Kreis schließt sich zu dem, was sie eingangs erzählt hatte, als sie mit einer merkwürdigen Mischung aus Demut und Stolz darauf herumritt, wie wenig formale Bildung sie hatte, bevor sie mit einem Mal einen Doktortitel erwarb, und das auch noch an der renommierten Universität in Cambridge.

Was ist hier los? Der weiße Kittel gibt den entscheidenden Hinweis: Wissenschaft! Bild: Wikimedia Commons

Was ist hier los? Der weiße Kittel gibt den entscheidenden Hinweis: Wissenschaft!
Bild: Wikimedia Commons

Ist das jetzt so schlimm? Jane ist Aktivistin und von ihrer Sache überzeugt. Darf sie nicht dafür eintreten? Und darf sie ihre Gegner in der Tierversuchsdebatte nicht unverständlich und seltsam finden? Sicher darf sie. Aber während ich mir das noch sage – auf der Empore des Hörsaals nachdenklich die Stirn runzelnd, denn die Frau ist schon extrem charismatisch, man möchte ihr nicht einmal in Gedanken widersprechen! –, redet sie schon weiter.

Sie erzählt nun von der Entscheidung des derzeitigen Direktors des NIH, Francis Collins, die Versuche mit Schimpansen einzustellen. Dazu sei eine unabhängige Studie am NIH angestellt worden, die befunden hätte, dass „keines der Projekte. Kein einziges!“ dem Menschen nütze („None. Not one of them!“). In der Folge seien die Schimpansenversuche beendet worden.

Das stimmt so aber nicht. Die Frage, die das Institute of Medicine (IOM) in seinem Bericht von 2011 beantwortete, war nämlich nicht: „Welcher dieser Versuche ist für menschliche Gesundheit nützlich oder potenziell nützlich?“, wie Jane es sagt („Which of these experiments is beneficial to human health, or potentially beneficial?“). Sondern das IOM untersuchte, welche der Versuchsreihen unbedingt auf Schimpansen angewiesen war, anstatt ein anderes Modell zu wählen!

Was war also wirklich passiert: Das IOM hat das NIH an gute wissenschaftliche Praxis und das 3R-Prinzip erinnert, das NIH ist dem nachgekommen. Dass dabei politische und wissenschaftspraktische Erwägungen eine große Rolle gespielt haben dürften, wird aus der jüngsten Stellungnahme des NIH aus dem Jahr 2015, als es seine letzten Schimpansenprojekte abwickelte, ziemlich deutlich. Ebenfalls hier zu lesen: Das NIH bekennt sich zur Notwendigkeit von Affenversuchen in der biomedizinischen Forschung – nur eben nicht mit Schimpansen.

Dass Jane dem Ganzen einen anderen Spin gibt, ist verständlich, zumal sie ihre eigene Rolle als die Person, die Francis Collins erst die Idee eingab, entsprechend herausstreicht. Damit kann ich beinahe schon gut leben. Denn auch aus Sicht eines Befürworters von Tierversuchen finde ich natürlich: Gut so, ein Erfolg für die Forschung, wenn ein Tiermodell durch andere Modelle ersetzt werden kann!

Hat sich von Jane überzeugen lassen: Francis Collins, Direktor des NIH

Hat sich von Jane überzeugen lassen: Francis Collins, Direktor des NIH
Bild: Wikimedia Commons

Aber dann kommt der Teil des Abends, der mir wirklich Bauchschmerzen macht:

„Wir haben heute das Problem, dass so viele Leute zu glauben gelernt haben, dass wir ohne Experimente an Tieren, besonders Primaten, niemals Heilmöglichkeiten für Alzheimer oder Parkinson finden. […] Und je mehr man liest, je mehr man herausfindet, desto klarer wird einem: Das stimmt nicht!”

(„We face today the problem that so many people have been taught to believe that without experiments on animals, particularly primates, then, we’ll never find cures for Alzheimer’s or Parkinson’s or any of these diseases which attack the human brain. […] And the more you read, the more you learn, the more you realise: it’s not true!”).

Habe ich das gerade richtig gehört? Jup, habe ich. Und es geht weiter:

„Es stimmt nicht, dass Primaten bei der Entwicklung eines Polio-Impfstoffes irgendeinen Nutzen hatten. Es stimmt nicht, dass sie für Alzheimer oder irgendetwas in der Art einen Nutzen hatten.“

(„It wasn’t true that primates were useful at all in developing a polio vaccine. It hasn’t been true that they were useful for Alzheimer’s or anything like that.“).

Und dann erzählt sie auch noch von einem Wissenschaftler, Rudolph Tanzi, der zur Bekämpfung von Alzheimer „das Äquivalent zum menschlichen Gehirn in einer Petrischale entwickelt hat” („He has developed the equivalent of the human brain in a petri dish“).

Fehlt nur noch das Gehirn! Bild: Wikimedia Commons

Gehirn zugeben, umrühren, fertig. Wissenschaft kann so einfach sein!
Bild: Wikimedia Commons

Na dann ist die Zukunft ja endlich da! Wo bleiben eigentlich meine fliegenden Autos, Raketenrucksäcke und meine Marsmission, verdammt nochmal? Aber Spaß beiseite. Solche Sätze offenbaren einen erstaunlichen Mangel an Faktenwissen. Mindestens. Kann es sein, dass Jane, Jane Goodall uns da gerade einen Bären aufbindet? Das Gehirn in der Petrischale mag man abtun, so stand das vermutlich auch in der Pressemitteilung, das kennt man ja.

Das mit dem Polio-Impfstoff dagegen fällt mir schwer zu schlucken (der Leser entschuldige das Wortspiel). Wurde nicht Jane Goodall von verschiedener Seite vorgeworfen, im Jahr 1966 ihre Schimpansenkolonie in Gombe per Schluckimpfung vor einer Polio-Epidemie bewahrt zu haben? Will sie nicht wahrhaben, dass für die Rettung ihrer Schimpansen andere Affen, Rhesusaffen nämlich, sterben mussten?

Das Poliomyelitis-Virus wurde von Jonas Salk in Affen in vivo kultiviert und isoliert. Die ersten Studien aus Salks Labor befassten sich mit den Eigenschaften des Virus, das in Affenhoden gezüchtet wurde (Younger et al. 1952, 3 Studien). Auch die ersten Tests auf Wirksamkeit des von ihm entwickelten, heute in den meisten Ländern gebräuchlichen Impfstoffs geschahen in Affen, bevor es 1953 zu Tests in menschlichen Probanden und 1954 schließlich zum berühmten „größten Gesundheitsexperiment in der Geschichte“ kam, einer mit zwei Millionen Teilnehmern durchgeführten klinischen Studie. Evtl. hat Jane Goodall zur Impfung ihrer Schimpansen ja den konkurrierenden, von Albert Sabin entwickelten Impfstoff verwendet, der damals schneller Verbreitung fand als der von Salk – aber auch Sabins Impfstoff basiert auf Forschungen in Affen.

Jonas Salk, Entwickler des Polio-Impfstoffs, den wir heute noch gebrauchen – und offenbar sehr zufrieden mit seiner Arbeit

Jonas Salk, Entwickler des Polio-Impfstoffs, den wir heute noch gebrauchen – und offenbar sehr zufrieden mit seiner Arbeit
Bild: Wikimedia Commons

Man darf nicht vergessen, warum Salk und Sabin beide in so relativ kurzer Zeit ihre Impfungen entwickeln und dafür unproblematisch auf hunderte Versuchstiere und später Tausende von Versuchspersonen zurückgreifen konnten: Dass es damals so schnell ging, liegt an einer 1952 ausgebrochenen, verheerenden Polio-Epidemie in den USA, die 58.000 Menschen betraf. Im Jahr darauf waren es noch einmal 35.000. Das wurde auch in Zeiten, in denen jedes Jahr 20.000 Menschen an Polio erkrankten, als bedrohlich empfunden. Was also hätte eine auch nur kurze Verzögerung in der Entwicklung des Impfstoffes bedeutet? 20.000 Menschen, jedes Jahr, allein in den USA, durch eine Krankheit mit schwerer Behinderung oder gar dem Tod bedroht, die wir heute praktisch gar nicht mehr kennen! Kann man ein schlagenderes Beispiel für die Notwendigkeit von Tierversuchen in der biomedizinischen Forschung finden?

Ich behaupte: Jane Goodall weiß nicht, wovon sie spricht, wenn sie sagt, Poliomyelitis hätte man nicht durch Affenexperimente in den Griff bekommen. Will sie vielleicht nur andeuten, es hätten auch andere Wege zum Ziel führen können? Dass man auf die Affenexperimente hätte verzichten können? Möglich. Wäre es genauso schnell gegangen? Schwerlich. Hätte der Erfolg sich womöglich gar nicht eingestellt? Vielleicht.

Nicht nur die zur Poliomyelitis, auch Jane Goodalls andere oben genannte Aussagen finde ich hochproblematisch. Ich möchte aber nicht schließen, indem ich meine im Titel gestellte Frage einfach bejahe, Jane Goodall die Kompetenz oder gar die Glaubwürdigkeit abspreche und es dabei bewenden lasse. Denn sie erinnert uns daran, wie schwer es ist, eine Debatte, die über Jahrzehnte auf so vielen Ebenen, mit so vielen Akteuren so leidenschaftlich geführt wird wie die Tierversuchsdebatte, durch einen schieren Willensakt auf den Boden der Faktizität zurückzuführen.

Wir sind nicht alle Polio- (oder sonstige) Fachleute. Während des Vortrags habe ich auch nur gedacht „Kann doch gar nicht sein, die erzählt doch Unsinn!“ Ich war davon fest überzeugt, konnte und wollte nicht glauben, was Jane Goodall soeben gesagt hatte. Dem Großteil des Publikums ging es, vermute ich leider, genau anders herum: Es sah sich in seinem sicheren „Wissen“ bestätigt, dass Tierversuche keinen Nutzen hätten. Menschen werden gar zu leicht Opfer des berüchtigen „Bestätigungsfehlers“ (confirmation bias) – wir sehen gar zu gern überall Beweise für das, was wir glauben, und übersehen Hinweise auf das Gegenteil.

Recht hat er, der Albert. Wenn er es denn wirklich gesagt hat. Zweifel sind angebracht. Bild: Wikimedia Commons

Wo er Recht hat, hat er Recht, der Albert.
EDIT: Wenn er es denn wirklich gesagt hat – Zweifel sind offenbar angebracht. Danke an Leser „Alex“ für den Hinweis!
Bild: Wikimedia Commons

Ich habe mich, um diesen Text zu schreiben, hingesetzt und recherchiert, so gut mir das als Laien in NIH- und Polio-Fragen möglich war. Ich befürchte, dass das nur wenigen Mitgliedern des Publikums die Sache wert war. Aber ein beunruhigender Gedanke verfolgt mich: Ich gebe zu, ich war extrem erleichtert, dass meine Recherche zu bestätigen schien, was ich vorher zu wissen glaubte. Aber als wissenschaftlich gebildeter Mensch ist es genau dies, was mich vorsichtig macht: Habe ich tief genug gebohrt? Habe ich ausreichend recherchiert? Wo habe ich Abkürzungen genommen, weil ich es am Ende gar nicht so genau wissen wollte? Bin ich letzten Endes selbst ein Opfer des Bestätigungsfehlers geworden – just indem ich Jane Goodall als solches entlarven wollte?

Es geht, anders als mein Titel suggeriert, längst nicht mehr um die Frage, ob dieser oder jener, ob berühmt oder nicht, Wissenschaftler oder nicht, lügt, zu welchem Zweck auch immer. Sondern es geht darum, dass wir unsere Informationen prüfen. Dass wir nicht, nur weil wir eine Meinung haben, annehmen, auch Wissen zu haben, das diese Meinung stützt. Bleiben wir offen dafür, Unrecht zu haben. Stehen wir notfalls für unsere Fehler ein. Auch und gerade, während wir für unsere Sache einstehen.

(gar nicht so) Eisiges Klima

Sonntag, 24. April auf dem Tübinger Marktplatz. Wir sind ja nicht hier, um die Leute über den Klimawandel zu informieren, aber heute spüren wir ihn am eigenen Leib: arktische Temperaturen, gelegentliche Schneeflocken, und das Ende April!

Aber hilft ja nichts, heute ist Labortiertag, da sind wir natürlich unterwegs und werben für einen informierten und sachlichen Umgang mit Tierversuchen. So richtig viel los ist heute ja nicht. Die Kollegen von Act for Animals e.V. haben ihre Aktion auf den Samstag vorverlegt, clever, da brummt die Tübinger Innenstadt schon ein bissele mehr als heute… Continue reading