Kommentar zum Vortrag: „Sackgasse Tierversuch“

Im letzten Dezember war ich in Göttingen bei einem Vortrag von Ärzte gegen Tierversuche: „Sackgasse Tierversuch“, gehalten von Dr. med. Eva Katharina Kühner. Der Vortrag ist auch auf dem offiziellen Youtube-Kanal der Organisation zu finden (link) und wurde in Göttingen nur sehr leicht verändert vorgetragen.

Im Großen und Ganzen fokussierte sich der Vortrag auf die Behauptungen: 1) Wissenschaftler in der biomedizinischen Forschung würden fast ausschließlich Tierversuche machen. 2) Tierversuche hätten so gut wie nichts zum medizinischen Fortschritt beigetragen, ja sie seien sogar hinderlich. 3) Es gebe gleichwertige Alternativen zu Tierversuche, wie z.B. In-Vitro-Methoden, Organ-on-a-chip oder Computersimulationen. Es sind dieselben Behauptungen, die auch an anderen Stellen im Internet von tierversuchskritischen Organisationen zu finden sind. Leider war der Vortrag auch hier oberflächlich und ging nicht auf die Hintergründe ein, um diese Behauptungen näher zu diskutieren oder zu validieren. Die Ethik zu Tierversuchen wurde fast gar nicht besprochen. Frau Dr. Kühner nannte diese zentrale Frage „bereits ausreichend diskutiert“. Die Behauptungen gegenüber der biomedizinischen Forschung sind nicht neu, und wir sind bereits ausführlich darauf eingegangen (FAQ, Faktencheck, Alternativen), daher werde ich es hier nicht wieder aufgreifen, sondern möchte von der Frage-Antwort-Runde nach dem Vortrag berichten.

Ein Vortrag für Leute, die kein Wissen über Tierversuche haben

Zunächst aber ein paar Worte zu Göttingen, denn der Ort, an dem dieser Vortrag gehalten wurde, hatte doch ziemlich großen Einfluss auf seine Rezeption: Göttingen ist mit ca 120.000 Einwohnern eine kleine Großstadt, die stark durch Wissenschaft dominiert ist. Ca. 20 % der Einwohner sind Studenten, eine große Universität, zwei Fachhochschulen, fünf Max-Planck-Institute, das Deutsche Primatenzentrum, sowie etliche weitere Forschungsinstitute sind hier ansässig. Nicht ohne Grund ist Göttingens Motto: „Die Stadt, die Wissen schafft“. Hält man also einen Vortrag zu Tierversuchen im Göttinger Universitätsklinikum, der zudem auf dem naturwissenschaftlichen Campus beworben wurde, dann kann man damit rechnen, dass etliche Wissenschaftler anwesend sein werden. Frau Dr. Kühner hatte damit offensichtlich nicht gerechnet. Erst in der Frage-Antwort-Runde wurde ihr klar, dass das Publikum hauptsächlich aus Wissenschaftlern bestand. Sie meinte daraufhin, sie sei gewohnt, vor Studenten zu reden, die kein Wissen über die Materie haben.

Deutliche Kritik aus dem Publikum

Nachdem der Vortrag also beendet war, gab es ein großes Interesse an der anschließenden Fragerunde. Im Publikum saßen Wissenschaftler mit jahrelanger Erfahrung in tierversuchsfreien Methoden, die Frau Dr. Kühner als vollständigen Ersatz zu Tierversuchen anpries. Sie wollten Details wissen, wie diese Methoden denn Tierversuche ersetzen könnten. Leider hatte Frau Dr. Kühner darauf keine Antworten. Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Wissenschaftler nicht nur mit einer einzigen Methode arbeiten, sondern in der Regel eine Vielzahl an Methoden verwenden, um eine bestimmte Thematik zu bearbeiten. Jede wissenschaftliche Methode hat Vor- und Nachteile, kann aber nur ganz bestimmte Fragen beantworten. Diese von ihr und in einigen Medien angepriesenen „Ersatzmethoden“ sind häufig gar kein Ersatz für Tierversuche, sondern komplementär. Deshalb werden diese Methoden auch bereits verwendet, häufig sogar von denselben Wissenschaftlern, die auch Tierversuche machen. Frau Dr. Kühner schien das aber gar nicht zu wissen, ja sie wirkte sogar ein wenig überrascht, als ihr das jemand erklärte.

Neben den aufklärenden Fragen zu den Ersatzmethoden gab es viel Kritik am restlichen Inhalt des Vortrags. Zum Beispiel waren die Anwesenden ethisch nicht damit einverstanden, die Giftigkeit von Medikamenten an Menschen zu testen (Phase-1-Medikamentenstudie), ohne vorher so gut wie möglich die Giftigkeit bereits auszuschließen, d. h. im Tierversuch (wenn keine Alternativen mit gleicher Aussagekraft vorhanden sind).

Außerdem wurden etliche Sachlagen falsch dargestellt. Zum Beispiel behauptete Frau Dr. Kühner, dass nur 4 Millionen Euro in „tierversuchsfreie“ Forschung gelangten, gegenüber Milliarden in der biomedizinischen Forschung insgesamt. Ich bin mir nicht sicher woher die Zahl “4 Millionen” kommt, aber ich vermute, sie meinte damit den Etat des BMBF für die Erforschung weiterer Alternativmethoden. Sie vergisst dabei aber, a) dass auch Pharmaunternehmen eigene Gelder für Forschung an Alternativen aufbringen, b) dass ein Großteil der staatlichen Mittel für die biomedizinische Forschung nicht in Tierversuche investiert wird, c) dass noch weitere Fördermittel speziell für Alternativmethoden existieren, z.B. von den Ländern, der EU, oder Stiftungen, und d) dass es auch noch nicht-spezifische Fördermittel gibt, auf die sich jeder Wissenschaftler bewerben kann, auch für Alternativmethoden.

Enttäuschung bei den anwesenden Wissenschaftlern

Die Oberflächlichkeit und eher frei interpretierte Faktenlage ließ für die anwesenden Wissenschaftler nicht erkennen, dass hier eine objektive Debatte gewünscht ist. Mehr noch, da dieser Vortrag ja “den Wissenschaftlern” pauschal die Schuld an den angeblichen Missständen zuwies, war er nicht weniger als ein verbaler Schlag ins Gesicht. Man erkannte die Enttäuschung der Anwesenden. Mehrere betonten, dass sie sich auf diesen Vortrag gefreut hätten, um eine konstruktive Debatte zu führen. Einige hatten sicherlich gehofft, sogar ein paar Hilfestellungen für die eigene Arbeit mitzunehmen.

Wissenschaftler möchten genauso wenig Tierversuche machen wie jeder andere, aber sie möchten die daraus resultierenden Errungenschaften nicht dafür opfern. Dieses ethische Dilemma ist ein großes Problem und geht vielen Wissenschaftlern nahe. Etliche von ihnen, und dazu gehöre auch ich, verwenden daher einen Teil ihrer Zeit, um Methoden zu entwickeln, die Tierversuche teilweise ersetzen oder reduzieren oder das Leben der Tiere den Umständen entsprechend angenehmer macht. Wird man dann mit so einem Vortrag konfrontiert, dann ist das sehr traurig. Vermutlich kam deshalb auch der eindrücklichste Kommentar von dem Tierversuchsbeauftragten des Universitätsklinikums. Er erklärte, dass die Klinik ein eigenes Ethikkomitee habe, welches die Tierversuchsanträge prüfe, bevor sie überhaupt an die Behörden geschickt würden. Er hätte sich viel von diesem Abend erhofft und sei umso mehr enttäuscht, dass der Vortrag ein so unglaublich anderes Bild beschreibe, als die Realität, mit der er sich täglich konfrontiert sehe.

Wir benötigen eine sachliche Debatte

Frau Dr. Kühner sagte zum Abschluss, dass sie lediglich eine Außenstehende sei, die einen anderen Blickwinkel aufzeigen möchte. Sie gab also zu, keine Expertin in der Thematik zu sein. Das Gefährliche an dem Vortrag war allerdings, dass sie mit ganz anderen Worten gestartet war. Anfangs erklärte sie, dass sie sowohl Ärztin sei, als auch wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Ärzte gegen Tierversuche. So suggeriert sie einen Expertenstatus und stellt ihre Glaubwürdigkeit sicher, zumindest gegenüber einem unbedarften Publikum. Daher ist es umso wichtiger, als Wissenschaftler so einer Veranstaltung beizuwohnen und eine sachliche Diskussion zu starten. Nur so kann man den anderen Zuhörern verdeutlichen, wie weit so ein Vortrag von der Realität entfernt ist.

Die positive Seite: Es war schön zu sehen, wie viele Wissenschaftler in Göttingen zu der Veranstaltung gekommen sind, um eine offene Debatte zu führen und um die Diskussion über Tierversuche sachlich zu gestalten.

 

Wir möchten mit dir über Tierversuche reden

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Es ist nicht nur unser Anliegen die Debatte über Tierversuche in der Öffentlichkeit zu stärken, sondern wir möchten auch die Kommunikation innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft forcieren. Tierversuche sind ein emotionales Thema, das gilt erst recht für Menschen, die direkt oder indirekt an Tierversuchen beteiligt sind. Es kann sein, dass man sich bei der Arbeit sehr unwohl fühlt, auch wenn man den Nutzen sieht. Es kann sein, dass man Probleme sieht, sich aber nicht traut diese anzusprechen. Vielleicht benötigt man aber auch Hilfe die eigene Forschung zu kommunizieren. Wir von Pro-Test möchten dabei unsere Hilfe anbieten so gut wir können.

Viele von uns sind selber an Laboren, die Tierversuche machen, beschäftigt, aber durch die Komplexität der Wissenschaft werden Labore und einzelne wissenschaftliche Arbeiten immer spezieller. Die Debatte um Tierversuche betrifft aber alle Bereiche, in denen Tiere genutzt werden. Für uns bietet Pro-Test daher eine Möglichkeit, Erfahrungen und Ansichten außerhalb der eigenen wissenschaftlichen Wände auszutauschen. Diese Möglichkeit möchten wir Jedem anbieten, ohne gleich Pro-Test beitreten zu müssen.

Daher werden wir in Zukunft verstärkt die Kommunikation mit denjenigen suchen, die an Tierversuchen beteiligt sind. Fühlst du dich angesprochen und hast etwas auf dem Herzen? Du findest mehr Infos auf unserer neuen Seite.

Auch Institute und Labore profitieren von einer offenen Kommunikation

Dieses Angebot möchten wir nicht nur an Einzelpersonen, sondern auch an Institute und Universitäten richten. Viele Institutionen versuchen möglichst wenig über ihre Tierversuche preiszugeben. Der Grund ist nicht, dass sie etwas zu verstecken haben, sondern dass sie Angst haben in das Visier von Aktivisten zu geraten. Vielen Institutionen fehlt dann die nötige Erfahrung, Zeit und/oder Ressourcen damit umzugehen. Wir glauben allerdings, dass eine offene Kommunikation der bessere Weg ist. Die Vergangenheit hat häufig gezeigt, dass Offenheit eine hervorragende PR-Strategie ist. Nur wenn man anfängt über die eigenen Versuche zu reden, kann man Erfahrungen sammeln, wie die Menschen darauf reagieren. Unsere Erfahrung ist es, dass die meisten Menschen verstehen, warum Tierversuche durchgeführt werden, sobald sie die Fakten kennen.

Ein interessantes Beispiel ist Großbritannien. Dort sind Aktivisten früher weitaus radikaler vorgegangen, was Wissenschaftler verängstigt hat. Als Konsequenz haben sich betroffene Institutionen, teilweise bis heute, komplett abgeschottet. Das führt erst recht zu Misstrauen in der Bevölkerung und die Meinungen und Ansichten der Wissenschaftler bleiben ungehört. Deswegen werben heutzutage britische Gruppen aus der Wissenschaftskommunikation für mehr Offenheit, wie z. B. im „Konkordat für Offenheit bei Tierversuchen“.

Auch wir wollen unsere Hilfe anbieten und das Wissen, welches wir in den letzten Jahren gesammelt haben nutzen und für jeden bereitstellen. Wir wünschen uns auch ausdrücklich einen Austausch mit Wissenschaftlern und Instituten, die einer zu offenen Strategie kritisch gegenüber stehen.  Schaut einfach mal auf unsere neue Seite.

Wir unterstützen die EU Richtlinie zu Tierversuchen

Understanding Gab - Mehr zur Infografik auf <a href="https://tinyurl.com/hmvkkq3">eara.eu</a>

Mehr zur Infografik auf eara.eu

 

Wir haben die Erklärung zur Unterstützung der Richtlinie 2010/63/EU von der European Animal Research Association (EARA) unterschrieben.

Als die aktuelle EU Richtlinie zu Tierversuchen vor ein paar Jahren in Kraft getreten ist hat sie EU-weit den Tierschutz in der Forschung auf einheitliche Standards angehoben und die Regularien noch einmal deutlich verschärft. Obwohl das ein großer Schritt für den Tierschutz war, gab es damals eine sehr erfolgreiche Petition, in der sich viele Bürger gegen die Richtlinie ausgesprochen haben. Bei einem Erfolg wären die Tierversuchsgesetze bei den alten, weniger restriktiven Gesetzen geblieben. Hauptsächlich ließ sich der Erfolg der Petition aber durch Unwissen und Missinformationen über Tierversuche und die geltenden Gesetze erklären. Daher hat sich EARA entschieden, diese Erklärung zu formulieren und somit den einheitlichen Rückhalt aus der Forschung für die neuen Gesetze zu zeigen.

Die EU hat sich entschieden die Richtlinie beizubehalten. Heute gilt die Erklärung von EARA nicht nur als Unterstützung zur Richtlinie, sondern auch als Statement für einen gewissenhaften Umgang mit Tieren in der biomedizinischen Forschung im Sinne der 3R’s (Refinement, Replacement, Reduction). Weit über 200 Institutionen aus Wissenschaft, Forschung und Industrie haben die Erklärung bereits unterschrieben. Pro-Test Deutschland gehört jetzt dazu.

Nur eine objektive Debatte hilft Mensch und Tier

Maus auf Hand Gesicht im Hintergrund von UAR

© www.understandinganimalresearch.org.uk

Im April war der internationale Tag des Versuchtieres, ein Tag, der die ethische Debatte um Tierversuche wieder ein wenig mehr in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit rückt. Dazu wurde auf Zeit-Online ein interessanter Artikel verfasst, dem ich mich hier näher widmen möchte. In diesem Artikel wird versucht eine objektive Debatte zu fördern, ein Anliegen, das mir sehr am Herzen liegt. Ich bin der Meinung, dass diese wichtige Debatte verstärkt geführt werden muss. Doch nur, wenn sie objektiv geführt wird, können sowohl die Wissenschaft als auch die Tiere in der Forschung davon profitieren. Der Artikel beschreibt jedoch ein Bild von Tierversuchen in der Wissenschaft, welches sich fundamental von meinen Erfahrungen in der biomedizinischen Forschung unterscheidet. Auch sind in dem Artikel leider ein paar typische Missinterpretationen einiger Fakten zu finden. Da es sich teilweise um Mythen handelt, die sich hartnäckig in der Öffentlichkeit halten, gehen wir in unserem Faktencheck bereits auf einige Punkte ein (z.B. zu den Themen: „Aspirin“, „TGN1412“ und „Übertragbarkeit“). Hier möchte ich aber ausführlicher die angesprochenen Kritiken in einem größeren Kontext beschreiben.

Tierversuche und Medikamententests

Im Artikel wird berichtet, dass nur 5–8 % der Tierversuche auf den Menschen übertragbar wären, was ein großer Irrtum ist. Die Argumentation basiert auf einer Quelle, die die Erfolgsraten von klinischen Medikamententests betrachtet. Zunächst einmal machen Medikamententests nur einen Teil der Tierversuche aus, aber selbst die Aussage – nur 5–8 % der Tierversuche in Medikamententests sind übertragbar – ist nicht korrekt. Korrekt ist, dass nur 5–8 % der potenziellen Medikamente, welche in die klinischen Phasen kommen, auch wirklich auf den Markt gelangen. Die klinischen Tests, also die Versuche an menschlichen Probanden, sind in drei Phasen unterteilt: Test auf Giftigkeit (Phase 1), Wirkung (Phase 2) und Nebenwirkung (Phase 3). Auch korrekt ist, dass Medikamente ausführlich getestet werden müssen, bevor Sie zur Phase 1 zugelassen werden. Diese gesetzlich vorgeschriebenen Tests beinhalten Tierversuche und sind dazu da die Giftigkeit, soweit es möglich ist, auszuschließen. Nur so können wir eine möglichst hohe Sicherheit für die freiwilligen Probanden in der Phase 1 gewährleisten, die Menschen, die zum allerersten Mal das Medikament nehmen. Diese Tierversuche sind also nicht dafür da Wirkung oder Nebenwirkung zu testen. Präklinische Tests zur Wirksamkeit sind nicht eindeutig gesetzlich vorgeschrieben und hochgradig unterschiedlich, je nachdem welche Wirkungsweise gegen was für eine Krankheit vorliegt. Es werden hier nicht nur Tierversuche, sondern auch im hohen Maß z. B. Versuche an Zellkulturen oder Computersimulationen verwendet. Möchte man eine Aussage zur Übertragbarkeit treffen auf Basis von Erfolgen klinischer Studien, wäre höchstens ein Vergleich mit der Phase 1 angebracht. In dieser Phase liegt die Erfolgsquote bei 64,5 %. Auch diese Zahl beschreibt aber noch nicht ganz die Übertragbarkeitsrate von Giftigkeitstests bei Tierversuchen und bei Menschen. Es kann vorkommen, dass milde Effekte im Tier als vermutlich harmlos für den Menschen eingestuft werden, sich dann aber schon bei geringen Dosen im Menschen bemerkbar machen und zum Abbruch führen.  Eine Studie hat sich das genauer angesehen und ermittelte eine Rate von 71 %. Das ist die vermutlich genauste Zahl, die wir bei der Frage zur Übertragbarkeit von Tierversuchen anfügen können, zumindest bei Giftigkeitstests. Würden wir alternative Methoden verwenden, dann müssen diese Methoden genauso effektiv sein, ansonsten würden wir das Leben der Phase 1 Probanden ernsthaft gefährden.

Bemerkenswert ist aber, dass bei der großen Zahl an Phase-1-Studien so gut wie nie etwas schiefläuft. Im Artikel werden zwei Fälle genannt: TGN1412 im Jahr 2006 in England und die vor Kurzem erfolgte Bial-Studie in Frankreich. Bedenkt man, dass alleine in England 200 Phase-1-Studien pro Jahr laufen und hier gerade mal zwei Studien innerhalb von zehn Jahren in Europa aufgelistet werden, ist das eher ein Argument für, nicht gegen Tierversuche. Zudem gibt es Ermittlungen zur Bial-Studie, die auf schlampige Arbeit hinweisen. Möglicherweise hätten sauber durchgeführte Tierversuche, sowie aufmerksamere Behörden, das Problem bereits vorher entdeckt.

Weiterhin wird beschrieben, dass Medikamente wie Aspirin durch heutige Medikamententests durchfallen würden. Wie darf ich das in dem Kontext verstehen? Wie bereits erwähnt, werden Tierversuche zum Schutz der Probanden von Phase I Studien durchgeführt. Natürlich kann es dadurch passieren, dass wirksame Medikamente fälschlicherweise durch diese strengen Auflagen ausgesiebt werden. Aber weniger strenge Auflagen, oder sogar ein Verzicht auf diese Tierversuche, würde das Leben der Phase I Probanden ernsthaft gefährden. Nur weil es im Fall von Aspirin gut ging, rechtfertigt doch nicht fahrlässig das Leben von zukünftigen Probanden aufs Spiel zu setzen.

Wir von Pro-Test Deutschland begrüßen ausdrücklich den Fortschritt, den die Wissenschaft in den letzten Jahren bei alternativen Methoden, insbesondere in der Toxikologie, macht. Es ist richtig und wichtig, diese Entwicklungen weiter voranzutreiben. Der Artikel suggeriert, in der Toxikologie würden Tierversuche durchgeführt, für die es bereits Alternativen gibt. Tierversuche sind in Deutschland verboten, wenn es Alternativen gibt. Wie schon vorher erwähnt, ist es aber auch wichtig zu testen, ob diese Alternative so aussagekräftig wie Tierversuche sind. In Deutschland ist hierfür die „Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch“ am BfR zuständig. So ein Prozess dauert seine Zeit. Außerdem kommt es leider häufig vor, dass die potenziellen Möglichkeiten von wissenschaftlichen Errungenschaften in den Medien hervorgehoben werden, ohne die Grenzen zu erklären. So kommt es immer wieder zu Missverständnissen was bei Alternativmethoden (oder allgemein in der Wissenschaft) möglich ist und was nicht. Pro-Test Deutschland setzt sich dafür ein, dass Wissenschaft objektiv und Fakten-basiert kommuniziert wird, nicht nur bei Forschung zu alternativen Methoden, sondern auch bei Forschung mit Tierversuchen.

Schuld ist das System?

Weiterhin wird behauptet, dass Behörden kein Mitspracherecht bei der ethischen Entscheidung hätten, ob ein Tierversuch durchgeführt werden dürfte oder nicht. Es hört sich so an, als wäre das Genehmigungsverfahren eine Farce. Tatsächlich ist dieses Verfahren in Deutschland aber sehr genau und langwierig. René Tolba, Präsident der Gesellschaft für Versuchstierkunde, meinte sogar, dass Deutschland die EU-Vorgaben zu „120 Prozent“ umgesetzt habe. Die Behörden berufen Ethikkommissionen ein, die beratend wirken. Sind diese auch nicht bindend, so folgen die Behörden doch meistens deren Vorschlägen.

Guckt man sich dazu die Referenz im Artikel an, dann sieht man, dass die Argumentation auf dem Fall des Neurowissenschaftlers Andreas Kreiter basiert. Das Oberverwaltungsgericht in Bremen hatte ein Verbot seiner Forschung durch die zuständige Behörde nicht zugelassen. Bei dem umstrittenen Verbot ging es leider weniger um Ethik und das Wohlergehen der Tiere, sondern eher um Politik. Da Tierschützer für viel Aufsehen gesorgt hatten und in Bremen Wahlen anstanden, wollten auf einmal fast alle großen Parteien diese Versuche verbieten. Nach den Wahlen musste dann aber ein „ethischer“ Grund dafür her, schließlich waren diese Versuche jahrelang in Ordnung gewesen. So wurde das Gutachten eines Tierarztes eingefordert, der noch nie das Labor besucht hatte, aber das geschrieben hat, was die Politiker hören wollten. Der Tierarzt des Veterinäramtes, der regelmäßig unangekündigt die Versuche kontrolliert, hatte kein Mitspracherecht. Auch war weder die ausgezeichnete Beurteilung einer Wissenschaftlerkommission von Interesse, noch wurde der Tierschutzkommission Gehör geschenkt, die ebenfalls nichts auszusetzen hatte. Eine gute ausführliche Beschreibung gibt es hier. Meiner Ansicht nach ist es gut zu wissen, dass die Rechtssprechung Wissenschaftler vor politischer Willkür schützt.

Zusätzlich wird behauptet, dass Wissenschaftler auf Widerstand stoßen, wenn sie Verfahren ohne Tierversuche verwenden. Diese Meinung steht im krassen Gegensatz zu meinen Erfahrungen. Jeder Wissenschaftler, den ich kenne, würde seine Erkenntnisse lieber mit Methoden erhalten, die keine Tierversuche benötigen. Allerdings hat jede Methode in der biomedizinischen Forschung ihre Nachteile, egal ob mit oder ohne Tierversuch. Ein Gesamtverständnis von unserem Körper und von Krankheiten können wir nur durch ein breites Spektrum an wissenschaftlichen Herangehensweisen erlangen. Teilweise funktioniert das mit und teilweise ohne Tierversuche. Dass aber diejenigen Methoden, die sich auf Tierversuche stützen, mehr Ansehen erlangen sollen, erschließt sich mir nicht. Eher ist es umgekehrt: Wenn Forscher es schaffen, Methoden, die vorher nur mit Tierversuchen möglich waren, auf Menschen anzuwenden, dann erhalten sie häufig sehr große Aufmerksamkeit, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Wissenschaft. Ein kürzliches Beispiel ist ein Bypass einer Querschnittslähmung mittels ins Gehirn implantierter Elektroden, eine direkte Folge aus Studien an Affen, die deutlich weniger Aufsehen erregt haben.

Trotz meiner ausschweifenden Kritik an dem Artikel bin ich froh, dass er auf Zeit-Online publiziert wurde. Diese Debatte sollte mehr Aufmerksamkeit durch die Medien erhalten. Ob und unter welchen Umständen mit Tieren experimentiert werden darf, ist eine wichtige wie auch schwierige ethische Frage und ich glaube fest daran, dass nur ein offener, informierter und objektiver Austausch zu sinnvollen Antworten führen kann. Nur, in dem wir möglichst viele Informationen mit einbeziehen können wir dieser Debatte gerecht werden.